Zwischenzeitwesen

Machen wir den Baum nochmal an, oder schmeißen wir ihn schon raus? Wollen wir morgen in den Schnee fahren oder an den See? Gehen wir raus ins Nasskalte, oder verbringen wir den Tag im Schein der Leselampe am Kaminfeuer? Es ist Ich-weiß-nicht-Zeit. Sie ist wie diese Lichterkette, die ich vor vier Wochen im Bauhaus gekauft habe: Nicht an, nicht aus, sondern nach Kräften mit den unterschiedlichsten Birnen blinkend. Rastlos, bis die Batterie erschöpft ist. Es ist zwischen den Jahren.

Ich habe beschlossen, diese Zeit zu mögen. Schon allein, weil es sie kalenderwissenschaftlich gar nicht gibt: Astronomisch gesehen grenzt ein Jahr dermaßen haarscharf ans andere, dass dazwischen einfach kein Platz ist. Doch genau da haben wir uns gerade niedergelassen. Die Astronomen können uns mal. Die Erde ist eine Scheibe, die Sonne dreht sich drum herum, und täglich grüßt der Mann im Mond. Es ist schön, aus der Zeit zu fallen. Judith und ich machen das tatsächlich ziemlich gern. Ich habe zum Beispiel von Judith eine neue Aktentasche bekommen, die aussieht wie eine alte. Und Judith hat eine Uhr bekommen, die auch eher der vorvorletzte Schrei ist. Uhr und Tasche passen zu Judith und mir. 

Zwischenzeitwesen zu sein, so grübele ich weiter, während ich die Uhr und die Tasche betrachte, ist allerdings nicht ungefährlich, was daran liegt, dass sich die Zwischenzeit nicht aus sich selbst heraus ergibt, sondern ausschließlich durch jene Punkte, die ihren Anfang und ihr Ende markieren. Wenn es kein Ende oder keinen Anfang gibt, fällt die Zwischenzeit sang- und klanglos in sich zusammen, ohne dass sie es sich selber zuzuschreiben hätte. Sie kollabiert geradezu, ohne selbst jemals Mist gebaut zu haben „Ist es also ein bisschen besser, ein Endzeitwesen zu sein?“, frage ich Judith und Zweifel schwingen in meiner Stimme.

„Schluss jetzt“ ergreift sie das Wort. „Mach den Baum und das Kaminfeuer an und morgen geht’s in den Schnee.“ Am Anfang war das Wort, denke ich und bin dankbar, dass diese Frau jetzt – es ist 18.23 Uhr und zwischen den Jahren – energisch einen solchen Anfang wagt. „We are absolute beginners“, summe ich und freue mich schon aufs neue Jahr mit Judith, David Bowie und all den anderen Anfängern.