weiß mit schwarzen Punkten

Alle Jahre wieder gehen wir auf Spurensuche. Sämtliche Sinne sind gespannt: Die Nase schnüffelt den Lebkuchen. Die Ohren hören stille Nacht. Die Fingerspitzen haben wir uns fast am Streichholz verbrannt, und die Augen sehen allüberall auf den Tannenspitzen. 

Die Spuren, die wir entdecken: Sie sollen uns zurückentführen in die Zeit, als wir dem Heiligen Abend entgegenfieberten. Als wir uns ihm erfüllt von Bildern mit Schnee und Schlitten und roten Mützen Türchen um Türchen, Kerze um Kerze näherten. Bald nun Kinder. Als Muttern die Weihnachtsbäckerei angeworfen hatte, was sie bei mir ein bisschen weniger und bei Judith ein bisschen mehr getan hat. Judith stammt, sie sagt es mir oft, von der Schwäbischen Alb. Da ist es kalt im Winter, und es wird eher mal was Heißes gebacken. Ich komme aus der Gegend von Hannover. Da ist es nass im Winter, und wir tranken eher was Trockenes. 

Wir sitzen in unsere Küche und suchen Spuren. Judith beschreibt ihren weißen Pyjama mit schwarzen Punkten, der so unerwünscht war, dass sie weinen musste, als er einst unterm Weihnachtsbaum lag. Aber sie sagt auch, dass sie Wünsche hatte, von denen nur zu Weinachten die Chance bestand, dass sie sich erfüllten. Heute geben uns die Mittelgroßen und Großen das Gefühl, wir sind ihnen lästig, wenn wir sie nach ihren Wünschen fragen. Oder wir bekommen einen Link mit genauer Anweisung. Unsere Weihnachtsmänner kannten noch keine Links.

Wir schreiben einen Einkaufszettel. Wie immer am vierten Advent, zuckt die erste Kerze ihrem Ende entgegen, während die letzte fast jungfräulich aus dem Kranze ragt. Die Zutaten für Vanillekipferl gehören noch auf den Zettel. Ich stelle an diesem Abend in der Küche die Gretchenfrage: „Wie hältst Du es mit der Religion, Judith?“ Durch den Dampf des kochenden Nudelwassers schauen wir uns an. Ratlos. Der Glauben hat viel mit Singen, Glocken und Gemeinschaft zu tun. Ohne all das schlummert er vor sich hin, wie Judith nachts um halb vier. Die kriegst Du auch nicht wach. Aber wunderschön, dass sie da ist.

Die Spuren, die wir an diesem Abend suchen, sind Spuren im Schnee. Angetaut und eingefroren. Ein Reifen ist achtlos darüber gewalzt. Ein Hund hat sein Bein gehoben. Es hat neuen Schnee gegeben. Wir brauchen alle Sinne, sie zu ahnen.  Es wäre, meine ich, ein bisschen besser, selbst eine neue Spur zu legen: Los Judith, wir sind dran. Du zündest den Baum an, ich heize dem Glühwein ein. Vier Hände für ein Halleluja. Unsere Spuren sollen nie verwehen.