warten auf den Horst

Ich hatte zu Beginn meiner Videokonferenz neulich um 17.30 Uhr für den Bruchteil einer Sekunde oder so „Warten auf den Horst“ gelesen und fragte mich unmittelbar, ob ich wirklich auf den Horst länger warten wollte. Als ich noch mal hinschaute, las ich „Host“. „Warten auf den Host“ stand da in fröhlich-zoomscher Sprachvermischung. Hostchen, wie Oma ihn sicher genannt hätte, ließ sich heute Zeit.

Das Problem mit den digitalen Warteschlangen ist, dass man sie nicht sieht, sie aber dennoch genauso lange dauern wie die echten. „Bitte legen sie nicht auf, der nächste freie Ansprechpartner ist für sie da.“ Ökonomen könnten ruckzuck ausrechnen, um wieviel das Bruttosozialprodukt steigen würde, wenn Deutschland in der Zeit, in der es nicht auflegt, arbeitete, anstatt zu warten. 

Warten gilt als verschenkte Zeit. Wir haben es deswegen aus unserem Bewusstsein verbannt. Früher stand ich erst beim Metzger und wartete bis vor mir 50 Gramm Champignonmortadella, der Teewurstschnipsel und das Gehackte-halb-und-halb verpackt waren, um dann beim Bäcker zu warten, bis der Kaffee gebrüht, die frischen Semmel aus dem Ofen, und der Nachbarsjunge mit dem abgezählten Geld seine Nussecke bekommen hatte. Falls heute so etwas passiert, schaue ich angelegentlich ins Handy, vertreibe mir die Zeit mit Nachrichten, die für nichts anderes gut sind, als um sich die Zeit zu vertreiben. Ich hätte auch einfach warten können. 

Aber ich mag Warten eben nicht. Warten bedeutet Verlust an Initiative. „Jetzt machen wir erstmal nichts, und dann warten wir ab“ – nein, nicht mit mir. Napoleon hat auch nicht gewartet, sondern beherzt Europa unterworfen.

Europa hat Glück, dass es Judith gibt. Denn wieviel besser ist es, auf sie zu warten! Sie ist nämlich kein Host und auch nicht der nächste Ansprechpartner. Ich muss nicht mal im Handy wühlen, sondern stelle mir einfach vor, wie sie oben gerade das Kleid überstreift, das ich so gerne mag, und genau an der richtigen Stelle etwas Farbe im Gesicht vermalt. Wenn sie dann die Treppe unserer Drei-Zimmer-Hinterhofwohnung herunterschreitet, erstrahlt ein Glanz, wie ich ihn sonst nur in Versailles vermute. Neulich habe ich meine Videokonferenz darüber glatt vergessen.