Vorsicht! Lebensgefahr.

Im drückend-schweigenden Wartezimmer einer russischen Schönheitschirurgin, die derzeit unweit des Rheinufers Corona-Impfungen durchführt und dabei auch für Fragen der Falten, der Lippen und des Popos ansprechbar ist, fällt mir ein: Hier geht es mal wieder nicht um Leben oder Tod, sondern es geht um mehr. Judith und ich rätseln, während wir geduldig warten, heute morgen schon ein Türchen im Adventskalender geöffnet, das Gulasch auf kleinste Flamme gestellt haben und die Wäsche im Keller machten – wir rätseln also, warum uns der Daueralarm in diesen Tagen so seltsam unberührt lässt.

Meine Vermutung bei Judith geht so: Sie trägt die Freiheit in sich. Ihr schwäbischer Dickkopf, der in frühen Jugendtagen – also gerade eben noch – als revolutionärer Eifer zum Ausbruch kam, ist rheinischer Friedfertigkeit gewichen, die jedem seinen Platz zum Leben lässt. Sie ist die wiedergeborene Josephine Baker, die mir morgens sagt: Deine Träume kannst Du erst verwirklichen, wenn Du endlich mal aufstehst. Sie ist die wiedergeborene Frida Kahlo, die ihre Füße nicht bräuchte, weil sie doch Flügel zum Fliegen hat. Und sie hat den hübschesten Popo.

Bei mir bin ich mir sicher: Ich kenne meinen Erich Kästner, der uns zuruft „Seien wir ehrlich, das Leben ist immer lebensgefährlich“. Und natürlich fallen mir meine Helden ein, die mich begleiten, seit Muttern noch das Gulasch rührte und die Wäsche im Keller machte: Robin Hood, Old Shatterhand, der schwarze Ritter Ivenhoe – ihr gemeinsames Motto lautet: Wir sind nicht auf die Welt gekommen, um uns vor dem Leben in Sicherheit zu bringen. Meine Falten zeugen von den gewonnenen Schlachten des Lebens. Mein Sherwood Forest ist der Großstadtdschungel, meine Ntscho-Tschi heißt Ju-Dith, und meine Turnierplätze sind der Küchentisch und das Büro.

Und wenn die Leichtigkeit des Seins im Nieselregenblues verschwindet wie allabendlich der Parmesan aus dem Kühlschrank, und wenn die Schwere des Daseins drückt, wie ein Kater im Schädel morgens um halb zwölf nach der Moderna-Spritze, und wenn da draußen die Angst alle so drückt, dass sie gebückt im Wartezimmer der Impfärzte sitzen und jedes Gespräch auf den Lippen erstirbt, dann ist es ein bisschen besser, wir stehen auf und landen auf den Füßen. Mal gewinnen wir und mal verlieren wir auf dem Turnierplatz des Seins, aber wir lassen niemals das Gulasch anbrennen.