Ministerriege

Wir haben am ersten Advent dauernd aufs Handy geschaut, Judith und ich. Vielleicht, so haben wir gedacht, rufen Christian oder Robert oder Olaf oder Annalena an. Die suchen ja ihre Minister zusammen, und wir beide hatten uns gründlich vorbereitet. Judith wäre beispielsweise als Landwirtschaftsministerin für Spätzleanbau und Züchtung nicht haarender Hunde eine Granate. Ich würde als Verkehrsminister schon aus Nostalgie in den Parkhäusern das gelbe Schild „Vorsicht beim Laufenlassen des Motors: Vergiftungsgefahr“ hängen lassen. Am 1. April hätte ich dann das Amt für Bevölkerungsschutz angewiesen, es gelb blinken zu lassen, wenn jemand sein E-Auto anschmeißt. Das wäre lustig geworden. Christian, Robert und Co. hätten eine Menge Spaß mit uns beiden gehabt. Zusammen, und das ist ja auch ein Kriterium, wären wir auch sehr divers gewesen, hätten uns gleichsam selbst neutralisiert, ohne dass es ein Nullsummenspiel geworden wäre. Das üben wir täglich.

Doch bisher hat das Handy weder geklingelt, noch ist eine SMS gekommen. Das Amt für Bevölkerungsschutz überlegt weiter, wie es die Menschen warnt, wenn es mal wieder so weit ist. Angeblich werden derzeit intern neue Klingeltöne für Sirenen geprobt. Aber das ist ein Gerücht. Kein Gerücht, sondern so steht es schwarz auf weiß im Koalitionsvertrag, ist dagegen, dass Annalena und die anderen eine Art Behörde für das Zusammenleben von „Weidetieren und Wölfen“ gründen wollen – ein Themenfeld, das Judith und ich ebenfalls gut beherrschen: „Einsamer Wolf“ nennt sie mich in meinen kühnen Träumen, in denen ich mich hüte, von „meinem Schäfchen“ zu reden. Kein Gerücht ist auch, dass die Koalition den Fußverkehr „mit einer nationalen Strategie unterlegen“ will. Hier wäre mein Anspruch als Verkehrsminister höher gewesen, und ich hätte für eine mindestens grenzüberschreitende Strategie zur Unterlegung des Fußverkehrs geworben. 

Aber es klingelt nicht. Vielleicht haben wir unser Regierungsprogramm einfach nicht gut genug vorbereitet, denke ich und überlege, ob ich anstatt auf Inhalte jetzt auf Vitamin B setze. Möglicherweise kenne ich die Bäckereifachangestellte, deren Schwägerin die Lebensgefährtin von dem Mann ist, der haushaltsnahe Dienstleistungen bei Christian Lindner verrichtet. Bevor ich eine Strategie entwerfe, sagt Judith sanft: „Vielleicht ist es ein bisschen besser, wir verschieben unsere Karrierepläne für vier Jahre und machen jetzt eine Kerze an.“ Es sei ja schon Abend. Es ist dann noch ein schöner erster Adventsausklang geworden. Und dass der Cem jetzt Landwirtschaftsminister ist, geht auch in Ordnung.