kleine Fluchten

In diesen Tagen, in denen sonst die Kürbisse von Halloween ihrem Schrumpfkopfdasein entgegenschimmeln, in denen sonst Gänse zahlreich ihr Leben lassen und der Adventsschmuck im Keller seiner Auferstehung entgegenfiebert, in denen sonst die Glühweinkocher und Mandelröster unbeschwert ihr Handwerk aufnehmen, in diese also schon so oft gelebten letzten 40 Tage eines ablaufenden Jahres hat sich ein neuer Ton geschlichen.

Er stört die Harmonie der lang geübten Jahresendsinfonie. Er ist ein schwarzer Klecks im Regenbogen, ein Matterhorn im Versebenmaß, er ist der Krümel Kümmel in der ansonsten wohlschmeckenden Safran-Suppe, über den Judith sehr ansehnlich den Mund verzieht, weil sie keinen Kümmel mag.

Es ist der Ton der Corona-Diskussion. Zu Halloween an Türen klingeln, das Gänseessen an der langen Tafel, der Glühwein im weihnachtlichen Gedränge – über alledem liegt ein Coronaschleier wie das Netz, das sich um die noch zappelnden Fische spannt. Und Judith und ich müssen zugeben, dass es uns diesmal die Seele zuschnürt, dass die sonst munter dahinhoppelnden Gedanken ihren Weg spuren als hätten sie links und rechts Planken aus rostigem Stahl. Und weil wir mit enger Stirn auf schmaler Fahrbahn rasen, ist jeder Entgegenkommende ein Geisterfahrer auf Karambolagekurs: die Nicht-Geimpfte, der ohne Maske, der Helau-Karnevalist, der Hallelujah-Schunkler.

Wenn es in diesen Tagen immer enger wird, besteigen Judith und ich unser Raumschiff Enterprise. Ich weiß, dass es ist ein bisschen besser ist, ihr den Captain Kirk zu überlassen. Sie befiehlt: „Oli, wir gehen auf Maximum Warp.“ Ruckzuck rasen wir dann mit unserem Zwei-Herzen-Antrieb durch Zeit und Raum, lassen schrumpfende Kürbisse und kochenden Glühwein unter uns und spüren im Spurt den Frieden des wie Wasser im Spülbecken leise ablaufenden Jahres.