völlig zerzettelt

Ich habe diese Woche ein Wort abbekommen von Judith: „Oliver, Du zerzettelst Dich.“ Was meint sie nur? Natürlich, ich musste auch nochmal nachschlagen, aber es gibt diesen Handwerker und Laiendarsteller Niklaus Zettel, der sich einen halben Shakespearischen Sommernachtstraum lang in einen Esel verwandelt und währenddessen schwer in Titania verliebt. Sie übrigens auch in ihn. Wollte Judith mir das andeuten? Ist das alles eine Eselei hier?

Dieses „zer“ ist eindeutig keine sonderlich gut beleumundete Vorsilbe: zerrissen, zerstört, zerrüttet. Ein „ver“ hätte ich verziehen und vergessen: Verliebt, verlobt, verheiratet, verzettelt – nun gut. Aber zerzettelt?

Ich verziehe mich an die frische Luft, wo der Wind mir das Haar zerzaust. Dieser Tag im frühen Oktober ist verregnet, eine verwehte Böe zerlegt einen knorrigen Ast, die Gedanken verfliegen, wie die grauen Wolken am Himmel zerbröseln. Manch einer verklärt den Herbst als den großen Vermischer der Farben und Zeiten. Tatsächlich verkündet er das Verenden des Sommers. Er verdreht den Tag und die Nacht, sie verlängert sich, er muss sich verkürzen. Stunden zerrinnen in Dunkelheit, Schatten im Kerzenlicht verbreiten Zerrbilder der Wirklichkeit. Im Herbst zerbricht, was der Frühling versprach. Wie zerlassene Butter zergeht der Herbst und verwandelt sich in den Winter, aus Zerstreuung wird Vereisung, aus Vernunft wird Zerfall.

Rums. Wir zerren die Tür ins Schloss, und verdauen ein Steak. In unseren festen Häuser sind Doppelglasscheiben verbaut, heiße Badewannen verstreut mit Lavendelduft-Schaumbergen und Musikanlagen wie Konzertsäle. Unsere Herzen sind nicht vereist, unsere Liebe verglüht niemals und falls irgendetwas sie verschüttet, sind wir zu jeder Eselei zu verführen. Wir vermachen ihr unseren Winternachtstraum, und zerkratzen das Eis auf ihr mit unseren Fingernägeln. Wir verschenken unzernagtes Vertrauen und jene Zertlichkeit, von der es ein bisschen besser wäre, wenn wir uns nicht verschrieben, sondern ihr ein „ä“ vermachten.