unser Dorf (2)

Das ist unser Dorf: Am Morgen ab 7 Uhr brummen die Gartengeräte. Sie kreischen, sie stöhnen, sie summen, sie schreien, sie knattern. Es sind Laubbläser, Kettensägen, Rasenmäher, Motorsensen, Bohrmaschinen, Schleifgeräte, Stahlschneider.  Der Bus fährt um 7.10 Uhr im zweiten Gang die U-Schleife um das Haus herum den Berg hoch. Er muss ein Dorf weiter. Dort kehrt er um. Er rollt um 7.20 die U-Schleife hinter dem Haus den Berg hinunter in die Ferne. Vom Garten sehen wir den Kirchturm. In ihm hängen die Glocken. Das Uhrwerk bringt die Glocken zu jeder vollen Stunde mit dunklen Tönen zum Schwingen. Zu jeder halben Stunde erklingt zusätzlich ein hellerer Glockenschlag. Ich liege häufig wach frühmorgens im Bett. Ich zähle die Glockenschläge. Wir wollen aufstehen. Manchmal bleiben wir liegen.

Wir gehen die 400 Meter an der Post vorbei zur Bar. Kurz vor dem Ziel ist in einer Hauswand ein Waschbecken eingelassen. Das Wasser spritzt kalt und köstlich aus der Leitung. Gegenüber steht auf dem Türsturz einer verfallenden Kapelle: „Diene dem Herrn mit Freude“ auf Latein. Die tätowierte Barfrau mit dem blondgefärbten Kurzhaar strahlt uns an. Sie hat schlechte Zähne. Viele Menschen hier haben das. Sie serviert zwei Cappuccini mit Milchschaum. Der Kaffee rinnt cremig durch die Kehle. Eine alte Frau spricht gebrochen deutsch. Sie herzt unser Kind. Eine dreirädrige Ape parkt quer. Ein Handwerker mit runzligem Gesicht steigt aus. Er trinkt ein Glas Wein. Nebenan ist ein Tante-Emma-Laden. Es wartet fast immer eine Schlange von Menschen davor. Alle reden. Drinnen bedienen eine alte und eine junge Frau hinter dem Holztresen mit Freude.

Aus manchen Häusern in unserem Dorf strömt Kellergeruch. Manchmal duftet es nach frischer Wäsche. Es gibt die Gerüche der Blumen: Hortensien, Magnolien, Heckenrosen, Lavendel. Kräuter wachsen in den Rissen zwischen den Mauern: Minze, Salbei, Rosmarin. Es gibt die Benzindämpfe der Gartengeräte und den Rauch der Kaminfeuer. Bei Regen riecht die Straße ein paar Minuten lang nach nassem Asphalt.

Von unserem Haus sehen wir am gelbverputzen Kirchturm vorbei fünf Kilometer ins Tal. Dort unten erstreckt sich die spiegelnde Fläche des Sees. Blau. Mit einer Handvoll Schiffen darauf. Nachts beleuchtet der Mond das Wasser golden. Ringsherum erheben sich Berge. Sie begrenzen. Sie beschützen. 

Ja, das ist unser Dorf. Wir wüssten nicht, was daran ein bisschen besser sein sollte. Vielleicht die Zähne.