Umwege

Ich sollte den Müll mal leeren. Auf dem Weg könnte ich die Kaffeemaschine anschalten. Die muss vorher entlüftet werden. Dazu brauche ich eine Tasse. Die steht in der Spülmaschine. Ich könnte sie eben ausräumen. Ein Löffel ist nicht sauber. Ich brauche ein frisches Handtuch. Das ist in der Wäsche, die ich gestern hochgeholt habe. Ich sollte den Inhalt des Wäschekorbs dabei gleich in den Schrank sortieren. Mit Musik ginge alles leichter. Ich müsste die CD’s ordnen. Die Meat Loaf-CD war schon vor seinem Tod verschwunden. „Oli, bringst Du mal den Müll raus?“, fragt Judith.

So gehen die Tage dahin und schleppen uns mit als Gefangene der Aufgaben, die wir uns stellen. Im Labyrinth der Listen vor uns liegender Erledigungen verkümmert die Seele zu einem bockigen Schaf, denke ich, und entscheide, dass es ein bisschen besser ist, mit einem entschlossenen „Määääh“ den Ausbruch zu wagen. Da draußen scheint die Sonne vom Himmel, und das macht sie in diesen Tagen auch nicht alle Tage. 

Das neue Baby rutscht in den alten Kinderwagen, der noch nach Keller riecht. Es ist erst das zweite Mal und dieses niedliche Stückchen Mensch bekommt rote Backen von der kalten Luft. Die Augen bleiben zu, aber das Gesicht verzieht sich zu immer neuen Grimassen den ganzen Spaziergang lang. Die Hündin tollt ausgelassen herum, wir haben uns ein paar Tage nicht gesehen und die Freude ist groß auf beiden Seiten. Ein kalter Wind bläst hinten von Duisburg übers Feld, wo die Hochöfen des Stahlwerks weiße Fahnen in den Wind strecken, als wollten sie Frieden mit wem auch immer schließen, obwohl in ihrem Innern das Feuer lodert.

„Judith“, würde ich jetzt zu Judith sagen, „Judith ich bin ein Hochofen mit einem Herz aus Stahl, das in der Glut unserer Liebe weich geworden ist. Die weiße Fahne ist mein Segel, das ich setze, um mit Dir über die Kämme der Wellen bis ans Ende aller Meere und darüber hinaus zu gleiten.“ Aber Judith ist heute zu Hause geblieben, hat den Tisch für sieben Leute gedeckt, zwei Quiche gebacken, ein Brettspiel mit der anderen Tochter gespielt, und als ich heimkomme und beginne, ihr das Hochofen-Gleichnis zu erklären, gibt sie mir einen Kuss und zaubert mich zurück zwischen Herd und CD-Sammlung und Wäschekorb und mir fällt ein, dass ich noch den Müll runterbringen wollte. Diesmal mache ich es gleich.