umstritten

Wenn Judith und ich ins Gespräch kommen, äußere ich mich gern umstritten, um der Unterhaltung ein bisschen Pfeffer zu geben. Ich rede von Männern und Frauen und stelle mich dumm, wenn Judith anmerkt, dass es geschlechtliche Zweifelsfälle gibt. Ich meine, dass der Krieg aufhören muss, koste es, was es wolle, und ich behaupte, dass Verzicht blöd ist, weil mein Gehirn auf Belohnung programmiert ist. 

Das sind lauter so Sachen, die ich niemals außerhalb der eigenen vier Wände sagen würde, denn da ist, wer umstritten ist, automatisch erledigt. Umstritten heißt da draußen nicht mehr, dass es mehrere gegensätzliche Meinungen zur Haltung eines Menschen gibt. Nein, wer als umstritten beschrieben wird, über den steht das Urteil in Wahrheit fest: Er ist solcher Vollpfosten, dass es sich gar nicht lohnt, tiefer zu erläutern, welch Geistes Kind er ist. Oder sie ist. 

Bei Judith aber darf ich Umstrittenes sagen. Denn sie hat in den Tiefen ihres Herzens auch ihren Spaß daran. Neulich zum Beispiel, als die Kleine nachts drei Zähne auf einmal bekam, hat sie im Internet geblättert, um zu erfahren, was zu tun sei. Plötzlich hat sie gegluckst, weil dort zu lesen war, eingefrorene Muttermilch, wäre gelutscht gut gegen den Zahngeburtsschmerz. Wir haben uns dann ausgemalt, wie es wäre, den Tiefkühlschrank voller Muttermilcheis zu haben. „Mit Vanille“, rufe ich, „und heißer Schokoladensoße.“  „Und zu jedem Geburtstag gibt’s eine Eistüte Muttermilch“, setzt Judith noch eins oben drauf, während ich der Kleinen eine echte Kugel Maracuja-Sorbet reinschiebe. Wir reden dann noch über Muttermilchfetischisten und fragen uns, ob Muttermilcheis vegan ist. Auch hierauf weiß das Internet Antwort: „Wenn es sich bei den milchgebenden Tieren um erwachsene Menschen handelt“ und nur Babys gesäugt werden, sei das ein veganer Vorgang. Das steht da wirklich.

„Das Internet ist doof“, sagt Judith. Sie hätte auch umstritten sagen können. Aber sie ist eben gerade heraus, und das ist ein bisschen besser so. Wir haben dann einen unumstritten schönen Offline-Tag erlebt.