Hausmannskost

Heute morgen habe ich den kleinen, nicht mal daumengroßen Salzstreuer über der Spüle aufgedreht, seinen letzten leicht feuchten Inhalt entfernt, ihn ausgewaschen, getrocknet, anschließend einige Reiskörner aus einer Packung gefischt und sie zusammen mit neuem Salz eingefüllt, den Deckel sorgsam verschraubt und auf ging‘s zum Frühstücksei.  Stolz das alte Haushaltsrezept von Oma zur Salzentfeuchtung angewandt zu haben, setzte ich mich Judith gegenüber und seufzte: „Vergangene Generationen müssen unglaublich viel Zeit gehabt haben.“

Es entspann sich ein munterer Dialog über die Zeit, bei dem ich darauf hinauswollte, dass sie mit fortschreitendem Alter zu einer limitierenden Ressource wird, während Judith darauf bestand, dass jeder Mensch am Tag gleich viel Zeit habe und die einen mehr, die anderen weniger hineinpackten. Und früher, so nimmt Judith an, hatten die Menschen gar nicht die Möglichkeiten so viel in einen Tag zu stopfen, ohne Auto, ohne Netflix und bei Kerzenschein. Deswegen hatten sie mehr Zeit. Da ließ es sich einfach zwischendurch eine Reissalzmischung fertigen. Oder einen Strumpf stopfen. Heute würden sofort neues Salz und neue Strümpfe gekauft. Und warum ich an sich immer aus Stunden-  Minutenpläne machte? Das nächste Wochenende sei auch schon wieder dicht. Ich ging in mich. 

Zum Glück plagte mich jedoch kein Bewusstseinsstrom. Kein Sein oder Nichtsein. Im Gegenteil: Ich drückte aufs Gas und kam schon wenige Sekunden später wieder strahlend aus mir raus wie ein Schmetterling aus der Raupe. „Es ist ein bisschen besser“, verkündete ich, „sich mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge zu nehmen.“ Wir haben daraufhin die Leiter runtergeholt und endlich die oberste Etage im Schrank geputzt, ich habe den alten Bullerofen auseinandergenommen und dabei ein Riesensauerei gemacht, wir haben Holz für den Kamin gespalten, die Kleine kriegte fünf Zähne auf einmal und schrie für sechs, das Büro rief Alarm und beinahe, ja beinahe wäre auch noch das Gulasch angebrannt. Weil wir uns aber ja jetzt Zeit für die wichtigen Dinge nehmen, ist genau das nicht passiert.