the great Gatsby

Wir sind sowas von gespannt. Irgendwann in den nächsten acht bis zwölf Wochen beginnen die goldenen Zwanziger. The roaring twenties. Denn schließlich ist alles genau wie vor 100 Jahren: Eine Katastrophe ist überstanden, Theater, Clubs und Konzerte werden überquellen von vergnügungsgierigen Menschen. Männer werden Männer lieben und dabei singen, Frauen werden Frauen lieben und dabei tanzen, und diesmal sind manche queer, mal sehen, was die so machen. Gut –  es gibt Aperol statt Absinth und Turnschuh statt Lackschuh, aber Judith ist auf der Suche nach einem kurzen Kleid mit so Kordeln dran. „Mein blauer Engel“ sage ich zu ihr, und sie nennt mich großer Gatsby. Wir üben schon, damit wir eben in acht bis zwölf Wochen nicht völlig kalt erwischt werden.

Die Zwanziger kommen uns auch insofern entgegen, weil wir im Kopf noch immer in ihnen stecken. Die Körper werden älter, aber die Medizin unternimmt ihr Möglichstes. Bei uns ist das ganz ordentlich gelungen, wir starten sozusagen gut konserviert ins sausende Zeitalter. Insofern gilt auch der Einwand nicht, dass es vor 100 Jahren viel mehr junge Menschen gegeben hat, die die Zwanziger so golden machten, als es heute welche gibt, weswegen die Zwanziger gar nicht so golden werden können. Tatsächlich ist fünfzig das neue zwanzig, und wir treiben es genauso dolle, nur mit der gewissen unsittlichen Reife.

Ein bisschen besser, hätte jetzt meine Großmutter gesagt, die ihr Leben lang Zigaretten so rauchte, als hätten sie eine Spitze vor dem Mundstück, und nur manchmal noch bekümmert von ihrem Bruder Adolfchen berichtete, der vor der Küste Griechenlands mit einem Jagdflugzeug abgestürzt war, ein bisschen besser ist es, ihr treibt es nicht ganz so wild, denn wir wissen doch, wohin das führt. 

„Ach Großmutterchen“, hätten wir im Überschwang der Gefühle gesagt, man muss den Tag auch mal vor dem Abend loben und große Dinge vom Anfang her denken. Dann wären Judith und ich in so eine Tanzbar gerauscht im Kordelkleid und Turnschuh. Unsere Hemden wären durchnässt von unserer inneren Hitze und unser Atem röche nach schwerem Alkohol. Im Morgengrauen hätten wir ein Uber bestellt und hätten uns auf dem Rücksitz ewige Liebe geschworen, auch wenn einer im Schuldenturm landet. Hoffentlich findet Judit bald das richtige Kleid.