Seid ihr noch Tagediebe oder schon Nachtschwärmer?

Es ist der Samstag vorm dritten Advent. Halb Holland hat sich heute morgen in den Reisebus gesetzt und ist an den Rhein gekommen, wo der Weihnachtsmarkt brummt. An den Buden wird der Glühwein gezapft, selbst der mit Schuss, den die Holländer so mögen, kommt aus dem Hahn. Es duftet nach heißen Crepes, auf denen Nutella schmilzt. Die Zähne knacken die zuckrige Umhüllung gebrannter Mandeln. Jugendliche Verkehrskadetten in leuchtenden Westen entzerren sich verheddernde Fußgängerströme. Judith und ich entscheiden uns für eine Erbsensuppe, die nach Speck riecht. Ich kippe zu viel Maggi rein. Zu viel Maggi mag ich gern an kalten Samstagnachmittagen.

Die Beleuchtung glänzt und blinkt, als gäbe es kein Morgen mehr. Kleine Kinder mit dicken Mützen kurbeln an den Lenkrädern ihrer Karussellautos, als müssten sie sie in der Spur halten. Heizstrahler strahlen volle Pulle. Demonstranten demonstrieren. Gegen den Krieg. Marokkaner feiern den Sieg. Den im Fußball. Sie rasen mit beflaggten Sportwagen hupend entlang der Fußgängerzonen. Die Siegesfeiern sind an diesem Abend lauter als die Antikriegskundgebungen. 

Ein hellerleuchteter Bus steht mitten in der alten Stadt, in dem die, die die Geschenke für ihre Lieben nicht mehr schleppen können, ihre Tüten parken und unbeschwert weiter einkaufen. Von der Schlittschuhbahn schmettert „I wish you a merry Christmas“.  Vor Gucci und Prada reihen sich die Menschen in Schlangen. Alles ist vereint: Speck und Einkaufslust, Sieg und Krieg, Hitze, Politik, Fußball, späte Tagediebe treffen auf frühe Nachtschwärmer, und der eisige Winternebel geht mit etwas gutem Wollen und Schuss im Blut als leichter Schneefall durch. 

Wir sind zu Hause im Leben. Heute Abend ist Diätpause. Heute Abend ist die Klimakatastrophe vertagt. Es ist Waffenstillstand an allen Fronten. Es herrscht Punsch statt Putin. Heute Abend fließt der letzte Groschen in Zuckerwatte und Karussellfahrten. Die Alltagsmoral verbruzzelt im Fett der Reibekuchen. Es ist ein bisschen besser so. „Du hast den schönsten Arsch der Welt“ summe ich, aber Judith hört es gar nicht in dem Getümmel.