Schlafwandler

Ich habe eine Gabe: Ich kann immer und überall schlafen. Ich knacke einfach weg. Nach elf Minuten „Tatort“ zum Beispiel, wenn wieder klar ist, dass der Tote zufällig die Jugendliebe der Kommissarin gewesen ist. Oder zwischen den Seiten 27 und 35 des Buches, das im Feuilleton der Süddeutschen angepriesen war, bei dem ich aber beim besten Willen weder eine innere, geschweige denn eine äußere Handlung feststellen konnte. Oder wenn sich die Autobahn zieht wie Kaugummi, im Radio noch mehr Hits der Achtziger dudeln, Judith mit Popoheizung auf drei und ansonsten auf Dösestufe eins neben mir kauert. Ich fahre auf den Parkplatz, kurbele den Sitz nach hinten und los geht’s mit meiner Gabe.

Die Gedanken tanzen dann als Bilder durch den Kopf. Sie sind wie Türen und irgendeine öffne ich wahllos, trete ein und verschwinde in eine andere Welt. Judith sagt, ich bin wirklich ein paar Minuten weg. Sie behauptet, ich schnarche. Dazu äußere ich mich nicht. Ich erzähle ihr aber, wenn ich aufwache, wo ich war. Auf der Schaukel zum Beispiel. Manchmal habe ich einen Ölwechsel gemacht. Ein anderes Mal Kartoffeln gepellt, Kühlschränke habe ich schon viele enteist, Rasen gemäht, unser Töchterchen in den Schlaf gesungen. Einmal habe ich, wenn ich mich recht erinnere, sogar mein Hemd gebügelt. Die andere Welt, sie sei eine ganz normale, erkläre ich Judith. Sie lauscht aufmerksam.

„Du“, fragt sie. „Ich bin doch deine Traumfrau?“ – „Ja natürlich, Schatz.“ – „Dann lass uns in deine Träume ziehen. Du scheinst mir da ja ein fleißiges Kerlchen zu sein.“ Ich war noch niemals so hellwach. Denn mit einmal begriff ich: Wir leben unseren Traum. Und unsere Arbeit erledigen wir im Schlaf. Ich bekniete Judith: Ein bisschen besser sei es, an diesem Modell nicht zu rütteln. „Okay“, sagt sie, „aber nur wenn Du aufhörst zu schnarchen.“