schamvoll

Gestern waren wir auf einer Party und sprachen übers Fliegen, bis einer, der auch drinnen mit modischer Mütze herumstand, von „Flugscham“ sprach. Wir holten ein Bier, wechselten geschickt das Thema, es ging um Hotels, wo wir derzeit ungeniert ein bisschen länger duschen als zu Hause, weil es ja im Preis inbegriffen ist. Der Mützenmann hatte schnell das Wort vom „Duschscham“ auf den Lippen, wobei er durchaus sauber roch. Unser nächstes Smaltalk-Thema, die Fußball-WM, war damit gestorben, bevor wir sie erwähnten. Ich dachte nur: „Katarscham“. „Scharm el Sheikh“, murmelte Judith vieldeutig.

Als wir weit nach Mitternacht nach Hause gingen, haben wir uns übers Schämen unterhalten. Genauer gesagt: übers Fremdschämen. „Ich bin eher unverschämt“, sagte ich leichthin und flüsterte Judith etwas Schamloses ins Ohr, wobei ich im Dunkeln nicht sehen konnte, ob sie errötete, und ich fügte hinzu, Scham sei doch völlig zweckfrei. Judith dagegen hält Scham für eine Tugend, was vielleicht an ihrer katholischen Erziehung liegt und auch schön ist, weil das Erröten einer Frau wie die Abendröte über der Südsee strahlt.

Sie habe sich zum Beispiel mal gründlich geschämt, als sie einen Termin völlig versemmelte, weil sie zu lange Kaffee getrunken hatte. „Die Menschen, die auf Dich warteten, hatten Glück, dich nicht ohne Kaffee zu erleben“, antworte ich ihr. „Du bist dann nicht Du selbst.“  Aber sich für andere schämen? Für Fußballer, die in Gegenden kicken, die anders ticken? Für warmes Wasser? Für schnelles Reisen? Nein, es ist ein bisschen besser, die Scham zu überwinden, ohne sie zu verlieren, sagt der Baron de Montesquieu. So werden wir es machen: Ich überwinde sie und Judith verliert sie nicht, die Scham. 

Ja, wir sind wirklich ein perfektes Paar, stellen wir an diesem frühen Morgen fest, während Judith innerhalb nur weniger Minuten den Hausschlüssel aus der geräumigen Tasche angelt und ich den nächsten Baum aufsuche. Und wir schämen uns kein bisschen dafür. Der Baron wäre sehr zufrieden mit uns.