romantische Szenen

Unser Leben besteht aus einer Sammlung von Augenblicken. „Welches war Dein romantischster Augenblick?“ frage ich Judith, und sie denkt gerade so lange nach, dass ich anfange zu denken, es sei möglicherweise einer ohne mich gewesen, und das will sie nun nicht sagen, um nicht die Sonntagsnachmittagsstimmung zu verderben. Aber dann sagt sie doch: „An der Feuerschale mit Dir.“

Die Feuerschale. Sie stand in einem Tal vor unserer Hütte, die auf einer Anhöhe oberhalb eines wildrauschenden Bachs lag und nachts hörten wir sein Wasser den Berg hinabgurgeln, ein Käuzchen rufen, das Knistern des Feuers in der Schale. Wir tranken Rotwein und schauten in die Sterne. Der Rauch wehte uns an, wir glühten von vorn, wir froren von hinten. Wir haben uns oft die Finger ein kleines bisschen verbrannt, ein kurzer Schmerz, gleich vorbei.

Judith hat die Gabe, Szenen durch ihre Kamera zu sehen, die auf Bilder gebannt, sich erst beim Betrachten als echte Augenblicke herausstellen. Das ist ein bisschen besser, weil sich verpasste Augenblicke so doch noch einholen lassen. Zack, hast Du sie! Dazu braucht sie aber Licht. Viel Licht. Wenn wir wegfahren, sind deswegen im Auto neben dem Kinderwagenoberteil und dem Kinderwagenunterteil, dem Körbchen für die Hündin, der Gummibärchentüte auch immer Stative, Lampen, Schirme und Akkus dabei. Das Licht liegt bei uns im Keller. Bevor Judith auf Augenblickejagd geht, muss ich immer erst das Licht aus dem Keller holen. Ihren Bildern sieht man meinen Schweiß nie an, weswegen ich das hier für die Nachwelt festhalte.

Unser Leben hat sie auf einer Festplatte gespeichert, die so heißt, weil unser Leben ein Fest ist. Und wenn das Fest zu Ende ist, weil das Licht aus ist, dann mache ich eben die Feuerschale wieder an und man kann uns von den Sternen zusehen, wie wir Rotwein trinken. Ich habe gelesen, dass das Licht längst erloschener Sterne noch zu sehen ist, weil es so lange braucht, bis es hier ist. Umgekehrt gilt das natürlich auch: Unsere Feuerschale wird aus der Ferne auch noch glimmen, wenn sie in Wahrheit schon erloschen ist. Das ist wirklich eine sehr romantische Vorstellung.