reißen wir die Ausgangsperre
„Wollen wir mal etwas ganz anderes machen?“, fragt Judith, als wir mit der Hündin gehen. Immer dieses Coronaeinerlei. „Gerne“, sage ich, „wir könnten zum Beispiel U-Boote im Comer See vermieten.“ Immer wenn jemand komme, zeigten wir auf den U-Bootleeren Hafen und sagten: „Gerade alle vermietet, mein Herr.“ Damen werden nicht so viele kommen, prophezeie ich, die mieten lieber Fahrräder.
Apropos „was anderes machen“: Früher machten die Menschen ihr Leben lang die immer gleiche Arbeit und sonntags gingen sie in die Kirche, sie wählten konservativ oder sozialdemokratisch. Die Stechuhr und die Kirchenglocke gaben den Rhythmus ihres Lebens vor. Der Partner – auch er hielt ein Leben lang. Beziehungen waren so sicher wie die Schwerkraft: Sie hielten uns fest, und manchmal schlugen wir auch unsanft mit der Nase auf. Heute machen wir öfter mal was anderes. Das Leben, es wird zur Eisdiele, und wir sind die Fünfjährigen, die davorstehen: Draußen wollen wir für unser Leben gern ein Eis, und kaum sind wir am Tresen angelangt, wissen wir nicht welches.
Ein bisschen besser ist es, so dachte ich auf dem weiteren Weg mit der Hündin, den wir alle drei im Schlaf gehen können, nicht ständig offroad, sondern auch mal wieder auf Schienen zu fahren. An diesem Vergleich seht ihr schon, dass er von mir kam. Und ich brabbelte weiter davon, wie schön es war, als ARD und ZDF noch das Programm vorgaben: „Tatort“ um 20.15 Uhr, bis dahin musste der Tisch abgeräumt sein. Heute brauche ich bei Netflix länger, um den Film auszuwählen, als um ihn zu gucken. Ja, so sprach ich.
Judith schwieg. Am nächsten Abend allerdings, als wir wieder zum Spaziergang aufbrachen, hatte sie überraschenderweise einen Grill to go geliehen, Stockbrotteig gerührt, die Würstchen aufgetaut, die seit vorletzten November im Tiefkühlschrank fieren, und mich angewiesen, den Bordeaux plus Korkenzieher nicht zu vergessen. So marschierten wir zum Ufer des Rheins, dahin, wo es die Sandstrände gibt. Wir kehrten erst zurück, als die Abendsonne längst hinter den Wassern, die sich nach Duisburg-Ruhrort schlängeln, versunken war. Wir hätten jede Ausgangssperre gerissen. Es war wundervoll anders.