quality time

Dieses zu Hause sein kann einen einlullen. Ich träume von Delfinen vor den Kanaren, klarem Wasser in Venedig, morgens kein Stau, am Nachthimmel blinken die Sterne. Mein Kollege spricht von „quality time“ mit der Familie. Judith und ich bearbeiten die Vergangenheit und schmieden Pläne für morgen. Wir kochen ausgiebig und sprechen dem Wein zu, was zu einem Wohlstandsbäuchlein geführt hat. Noch nie haben wir so intensiv gewohnt wie in diesen Tagen. Ikea hätte seine Freude.

Genauso wie unsere Hündin, die wir aus dem Tierheim geholt haben. Sie hatte angeblich ein schweres Vorleben als Straßenköter in Rumänien, was mir nicht recht in den Kopf will, weil Straßenköter immer hinterm Restaurant die leckeren Speisereste bekommen und täglich mit anderen Straßenkötern Sex haben. Hierzulande erhalten sie Chappi und werden kastriert. Aber möglicherweise geht es ihr bei uns tatsächlich besser. Wir wollten sie Cuvée taufen, weil sie ein Mischling ist. Am Ende heißt sie doch Leni wie Riefenstahl.

Natürlich haben wir ein paar kleine Sorgen, wie sich alles weiterentwickelt, aber die nimmt der fürsorgliche Staat uns großherzig ab: Überbrückungshilfe hier und ein Klein-Unternehmerzuschuss dort. Die Arbeitsagentur will einen gar nicht sehen, sondern hat auch Online Verständnis für die vielen neuen Selbständigen unter uns. Die Stammkneipe ist zwar zu, aber es wäre keine Stammkneipe, wenn sich nicht auf Klopfen ein Fensterchen öffnete und ein Frischgezapftes rausgereicht würde. Freunde sehen wir auch. Wir haben vorm ersten Tag des Lock Downs einen festen Kreis gebildet und beschlossen, dass wir eine Familie auf Zeit sind, eine Corona-Familie eben. Mundschutz ist Mist, aber ein Halstuch hochgezogen, vermittelt das sichere Gefühl wie weiland John Wayne durch die staubige Savanne Richtung Sonnenuntergang zu galoppieren.

Und wenn wir daran denken, wie es erst nach Corona wird: Billionen von Euro schweben wie Rosenblätter herab, es wird einen Boom geben, dass uns Hören und Sehen vergeht. Die Arztpraxen sind nicht mehr überfüllt, weil viele in der Krise erkannt haben, dass sie ganz ohne Doktor gesund werden. Die Lufthansa ist verstaatlich, weil Menschen nicht mehr fliegen, sondern Meetings am Bildschirm erledigen. Das viele Geld aus der Corona-Hilfe und die Einsicht in die Segnungen der Digitalisierung werden Deutschland am Ende sogar noch bewegen, ein blitzschnelles Internet zu errichten.

Ein bisschen besser wäre es natürlich, wir öffnen geschwind die Augen und schalten das Gehirn an: Haben hysterische Politiker getrieben von einer nicht minder hysterischen Öffentlichkeit mit Kanonenkugeln auf eine Fledermaus geschossen? Sieht das Ganze nicht nach einem großen Spuk aus, seitdem Corona gerade wie jede Grippewelle Ende April den Rückzug einleitet, und wir nur noch hinterherwinken? Statt aufzuwachen drehen wir uns lieber nochmal um. Alles andere ist zu unbequem. „Oli, steh auf“, schallt es da von Judith. „Du wolltest noch Mehl für die Pizza kaufen. Vergiss den Mundschutz nicht.“ Die Wirklichkeit ist rau, denke ich bei mir und galoppiere los.