Land des Lächelns

Sprechen wir besser nicht mehr von „Pandemie“. Stattdessen sollten wir dieses weichere, ins sächsische abrutschende Wort „Bandämi“ benutzen. Beim „P“ nämlich besteht Spuckgefahr, und wir müssten Mundschutz tragen. Das „B“ dagegen ist spucktechnisch völlig harmlos. Ich selbst sage deswegen nicht mehr italienisch elegant „Pasta“, sondern „Basta“, was bei Judith für Irritationen sorgt. „Basta“ sagt sie, sei ein Ausdruck der Schlussmacher, der Beleidigten, der Empörten, der Wütenden. Und wir haben doch diesen Blog ins Leben gerufen, weil wir mit denen nicht mitspielen. Wir wollen es ein bisschen besser machen.

Natürlich plätschert bei uns Zweien nicht alles so pastabasta vor sich hin: In mir brodelt es zum Beispiel, wenn ich diese missgelaunten Menschen mit Mundschutz sehe. Und ich explodiere wie ein Unterwasservulkan, von dem man über der Oberfläche auch nichts ahnt, wenn mir jemand einredet, dies sei die neue Normalität. Wenn es heißt, Verhüllung sei vernünftig, Abstand virenabwehrend und Hand geben höchst leichtsinnig, weswegen wir uns an neue Umgangsformen gewöhnen müssten.

Es ist nicht nur so, dass sowas die Erziehung meiner Kinder torpediert, denen ich eingeschärft habe, gehe auf die Menschen zu, schau ihnen ins Gesicht und gib ihnen die Hand. Nein, es ist mehr: Die Zivilisation bröckelt. Thomas Mann beschreibt seinen „Propheten“ als Menschen „mit gewaltig hoher, bleich zurückspringender Stirn und einem bartlosen, knochigen, raubvogelähnlichen Gesicht von konzentrierter Geistigkeit“. Unter aktuellen Mundschutz-Bedingungen müsste unser Literaturnobelpreisträger sich mit der fliehenden Stirn begnügen. Der Rest wäre pure Spekulation. Oder Goethe lässt Gretchen am Spinnrade sitzt und von Faustens „Rede Zauberfluss, sein Händedruck und ach sein Kuss“ schwärmen. Der Dichter beschwört damit eine Kultur, die untergegangen sein muss wie unser Stammlokal, und das liegt nicht nur am Spinnrad.

Unsere Wurzeln liegen dort, wo es darum geht, wie wir kommunizieren. Judith fotografiert ganze Gesichter und keine halben Sachen. Und ich rede mit Menschen und nicht mit Masken. Im Austausch von Gesten, Blicken und Worten entsteht Miteinander, das wir nötiger brauchen als alles andere. Es mag sein, dass anderswo die Burka zur weiblichen Standardausrüstung auf der Straße oder etwa beim Geld abheben gehört, hierzulande war sie nur vorteilhaft für den, der Geld abheben wollte, ohne zu bezahlen. Und es mag ja auch sein, dass anderswo eine Verbeugung zur Begrüßung genügt. Wir finden anfassen besser.

Mit all dem könnten wir brechen. Aber ein bisschen besser wäre, es nur zu unterbrechen. Wir lassen die notgedrungene Unterbrechung niemals als Normalität in unser Leben einziehen. Wer die Empfindung dafür nicht besitzt, hat vielleicht noch alle Tassen, aber kein Buch im Schrank und kennt offenbar keinen, mit dem er reden oder den er gar küssen möchte. Das würde unsere Laune auch beeinträchtigen, und wir müssten schon sehr aufpassen, nicht doch zu den Beleidigten, den Empörten oder gar den Wütenden zu gehören. Normalität bedeutet für uns: Wir geben unser Land des Lächelns nicht her. Ein Kuss auf die Wange erhöht das Lebensglück. Oder auf den Mund, wobei ich mal an Gretchen, mal an Judith denke.