Paris mit Hut

Jüngst waren meine Frau Judith und ich zwei Tage in Paris. Der Zug hatte anderthalb Stunden Verspätung, mein Lieblingsmuseum war wegen Überfüllung geschlossen, ein schlankes Glas lauwarmer Gin kostete 14 Euro. Am zweiten Tag hat es nur geschifft, und die Nacht im Hotel habe ich wegen Feueralarms kein Auge zugedrückt.

Ja, so war das. Ein bisschen besser ist es, die Reise so zu erzählen: Es rauscht ein Schnellzug von unserer Bude hier in weniger als vier Stunden in die Stadt der Liebe. Er verfügt über eine bescheidene Bar, die im Fall einer Verspätung einen kühlen Drink bereithält. Wir kamen also fröhlichen Mutes an. Ich behielt den Hut auf, während wir unsere Siebensachen in ein winziges Zimmerchen bolzten und sogleich den ersten Restauranttipp abarbeiteten. Ich hatte meine Brille vergessen, Judith ist im Französischen nicht so patent wie sonst im Leben. Ich konnte also die Menükarte nicht erkennen, und sie konnte sie nicht verstehen. Wir waren als Team K.O. in Runde eins, orderten blind durch Draufzeigen, weswegen vor mir ein Teller mit frischgebratener Kalbsleber landete. Es war die Beste in meinem Leben, ich hätte sie nie bestellt.

Vom Feueralarm bin nur ich aufgewacht, während Judith an meiner Seite wohlig abgetaucht war, jedenfalls schnorchelte sie hörbar. Ich bin mit Gin in der Birne barfuß und in Bluejeans raus auf den Gang, habe versucht, den Feuermelder mit einem Stuhlbein zu töten, aber er hing zu hoch. Unten beim Portier, der hektisch Knöpfe drückte, wollte ich mich beschweren, aber da ging der Alarm schon aus. Ich stellte fest, dass alle asiatischen Hotelbewohner paarweise und mit gepackten Koffern hinter mir im Foyer standen, während ich ohne T- Shirt und Socken meine Frau im Zimmer vergessen hatte. Den restlichen Teil der Nacht habe ich mir ausgemalt, wie ich Judith mithilfe aneinander geknüpfter Bettlaken abgeseilt und mich selbst dann vor den Augen einer schockstarren Menge aus dem vierten Stock über Fenstersimse und Regenrohre auf ein Pariser Dach gehangelt hätte.

Am Regentag wussten wir beide, wofür wir unsere durchaus mondänen Hüte aufhatten und außerdem kam just am Eifelturm für eine Minute die Sonne raus, was ich dem lieben Gott hoch anrechne. Das überfüllte Museum zeigt die Schöpfung des Abendlandes, wozu wir wahrscheinlich sowieso zu erschöpft gewesen wären. Als Souvenir haben wir dem bei Oma und Opa gebliebenen Töchterchen eine Schlange gekauft, die die Zunge rausstrecken kann. Sie hat sie gleich abgerissen. Ich habe mir ein Taschenmesser zugelegt, das ausschließlich über zwei lebenswichtige Funktionen verfügt: Es kann schneiden und entkorken. Als wir den Zug zurück erreichten, rief ich „Vive la France“ und Judiths erster Französischbrocken lautet: „Mon amour“. Ja – so war das nämlich wirklich in Paris. Und das Leben ist reine Ansichtssache.