Morgen ist die Welt in Ordnung

Diese Woche wird schön, denn sie wird ein bisschen besser. Für uns ist sie so etwas wie ein neues Jahr oder auch Jahrhundert, in dem stets auch grundsätzlich alles anders wird. Diese Woche nämlich nehmen wir uns Zeit. Morgen werden wir den Tag mit einem Hundespaziergang in die Bar beginnen und dort einen guten Kaffee trinken und dabei die Neuigkeiten des Tages lesen. Gut digital und nicht gedruckt, weil die digitalen etwas schneller sind, wir wollen ja eben nicht mehr gegen die Zeit anrennen. Wir werden dazu eine Brioche mit Marmelade essen und ich hoffe, dass sie noch ofenwarm ist.

Letzte Woche sind wir gegen die Zeit angerannt. Die Tage mit ihren unerbittlichen 24 Stunden waren zu kurz, zumal sechs von diesen Stunden nun wirklich dem Schlaf gehören, da ansonsten bei Judith diese senkrechte Falte in der Backe schärfer hervortritt und sie aussehen lässt wie 24einhalb, und bei mir die waagerechten Ritzen unter den Augen plötzlich rot anschwellen, als hätte ich schon morgens einen im Kaffee. 

Dieses musste noch abgearbeitet werden, jenes hatten wir vergessen, der Kühlschrank war ständig leer, als würde er sich selbst von innen verzehren, die Wäsche ständig in der Maschine, als saute sie sich selbständig ein, und das Geschirr wollte ununterbrochen aus der Maschine. Telefonate blieben ungeführt, Behördengänge unerledigt und manche Post schmiss ich weg, weil die Antwortfrist abgelaufen war, und es sich damit erledigt hatte. Das schlimmste aber war: Unser Leben geriet aus den Fugen. Das erschöpfte „Gute Nacht“ nahm der andere nur noch im Halbschlaf war, das „Guten Morgen“ konnten wir uns sparen, weil der andere eh schon auf und über alle Berge war.

Als wir uns dann Freitag gegen vier Uhr nachmittags ohne Frühstück, weil der Kühlschrank ja leer war, an der Hauptstraße neben Lidl beim Döner mit Joghurtdressing trafen und ihn gerade runterschlangen, rief Judith: „Schluss.“ Ich war so überrascht, dass ich noch den Hund zum Tierarzt brachte, die Steuerberaterunterlagen abgab, die Wäsche aus der Reinigung holte, den Dachgepäckträger anschraubte und Liegestütze machte, bevor der Groschen gefallen war. Judith wollte ein anderes Leben. Heute noch. Und weil sie Recht hat, machen wir das eben. Ich habe mich selten so auf einen Montag gefreut. Vielleicht nehme ich gleich zwei Brioche. Zeit habe ich ja.