flutsch durchs Meer

In dem Zug ist der Lautsprecher kaputt. „Ihr nächster Halt ist . . .“, „Wir haben derzeit eine Verspätung von . .  .“, „Wir bitten um Entschuldigung“, „Grund ist eine Störung an einer Weiche“ – all das ereilt uns heute nicht. Es herrscht Schweigen, und die Schaffnerin sagt so freundlich sie eben kann: „Der Zugchef kann heute nicht mit Ihnen sprechen.“

Ich finde das nicht schlimm. Denn ich hätte ja auch nicht mit dem Zugchef sprechen können, wenn er mit mir gesprochen hätte. Seine Mitteilungen sind deswegen für mein Leben völlig ohne Konsequenz, da es ohne sie genauso verläuft. Es sind überflüssige Informationen. Ganz im Gegenteil etwa zu dem bahnbrechenden Vortrag, den ein Freund von uns kürzlich auf dem Badehandtuch hielt. Er referierte freihand über die messinische Salinitätskrise, die kurz zusammengefasst dazu geführt hat, dass das Mittelmeer mal für eine Million Jahre oder so ausgetrocknet war. Es ist schon ein bisschen her und deswegen in Vergessenheit geraten, aber es war mal weg – das Meer.

Unsere Phantasie hat das sehr angefacht. „Stell Dir vor, wir könnten nach Marokko mit dem Auto. Einfach so, flutsch durchs Mittelmeer“, sagte Judith, die stets gern auf Reisen geht. Ich selbst dachte mehr grundsätzlich und an die Zukunft: Wenn das Mittelmeer mal leer war und jetzt wieder voll ist, und das ganze nicht menschengemacht war, weil es die noch gar nicht gab, was kommt da auf uns zu? Wird die Erde mal verschwinden, um dann am anderen Ende der Galaxie wieder aufzutauchen, und finde ich dann noch meinen Hausschlüssel? Ist es nicht ein bisschen besser, wie Hamlet sagt, die Pfeil und Schleudern des wütenden Geschicks zu tragen als sich wappnend gegen eine See von Plagen durch Widerstand sie enden? Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie zum Beispiel unser Liegestuhl-Vermieter am Strand von Ligurien fuchsteufelswild geworden wäre, wenn plötzlich das Mittelmeer ausgetrocknet wäre.  Eine Bürgerinitiative, die Tempo 100 auf Autobahnen gefordert hätte, um die Austrocknung des Mittelmeers aufzuhalten, wäre das Mindeste gewesen, das er ins Leben gerufen hätte.

Genutzt hätte es natürlich nichts. Genauso wenig wie die Durchsagen des Zugchefs. Die gehen jetzt wieder, dafür hat unsere Eisenbahn ihren zweiten Teil in Frankfurt stehen lassen, der offenbar für die klemmenden Durchsagen verantwortlich war. „Wir sind jetzt einteilig unterwegs“, sagt der Zugchef und uns ist natürlich klar, dass selbst einteilige Zugchefs keinerlei Konsequenzen für uns haben.