Kellerglück

Der Urzustand des Lebens ist das Chaos. Der Beweis für diese These findet sich in unserem Keller. Er hat als selten besuchter Raum die Möglichkeit sich unbeschwert zu entwickeln und strebt fröhlich dem Chaos entgegen, mit der Neigung ganze Gegenstände zu verschlingen. Die Spraydose Rostumwandler hat er bereits vernichtet, so dass ich das abgesägte Ofenrohr gar nicht erst runtergetragen habe. Die Angst, dass es im gefräßigen Keller verschwindet, überwog, mit der Folge, dass das Chaos jetzt einen Fuß in die Tür nach oben gestellt hat.

Judith und ich ermahnen uns gegenseitig, dem Urzustand da unten ein Ende zu bereiten. Zaghafte Versuche wie der Verkauf von vier abgefahrenen Winterreifen aus dem Keller haben sich jedoch bisher nicht als durchschlagender Erfolg erwiesen, so dass ich inzwischen dafür plädiere, mit dem Chaos unter einem Dach zu leben. Natürlich überhöhe ich so eine Einstellung philosophisch und erkläre Judith, dass ich gelernt habe mit Dingen, die ich nicht ändern kann, zu leben. Dummerweise ist auch sie inzwischen im Umgang mit Lebensweisheiten geschult und entgegnet, dass es nur zwei Tage im Jahr gebe, an denen sich nichts ändern ließe: Die heißen gestern und morgen. 

Ich dringe tiefer in das Thema und lerne, dass laut chinesischem Feng Shui das Entrümpeln des Kellers sogar der Seele nützlich sei. Das Unterstübchen stehe für unsere Vergangenheit. Je vollgestopfter der Keller, desto blockierter demnach die Zukunft. Es gibt auch einen wirtschaftstheoretischen Ansatz: Die spätkapitalistische Warenproduktion drängt uns, ständig neue Dinge zu kaufen, weswegen ständig alte in den Keller müssen. Eine gewisse Birgit M. bietet sogar Kurse an: „Ausmisten als aktive Persönlichkeitsentwicklung“.

Als fertige spätkapitalistische Persönlichkeit, die China als das Land erkennt, das uns erst Corona und dann die Masken dagegen geschickt hat, schlage ich Judith vor, dass wir von nun an pro neuen Gegenstand, der oben reinkommt, einen von unten rausschmeißen. „Begreifst Du das Dasein denn nur als Durchlauferhitzer?“, fragt Judith. „Ist für Dich alles vergänglich? Was ist mit ewiger Liebe?“ Es waren dies unzweifelhaft die großen Fragen des Lebens. Wir haben dann gemeinsam beschlossen, sie zuerst zu lösen und danach den Keller aufzuräumen.