heimgekommen

Es war einmal, so fangen Geschichten an, die sein sollen, obwohl sie nicht mehr sind. Es war einmal Weihnachten und das ist am dritten Weihnachtstag so weit weg wie ein Grieche von der leichten Küche.  Es war also mal der Weihnachtsmorgen auf der Schwäbischen Alb. Es ist so matschig, dass die schwäbische Hausherrin den Putzeimer vor die Türe stellt: Erst Stiefelputzen, dann „noikomme“, was sich an dieser Stelle mal mit „heimgekommen“ übersetzen ließe. Auch der Hund muss durch den Eimer. Judith und ich sind übers Feld in den Wald gegangen. Wir dozierten jeder vor uns hin, Judith über die Anzahl der Eier, die zu Silvester in die Spätzle gehören würden. Ich über den Grund, warum die Bäume zum Winter praktischerweise ihre Blätter verlieren, nämlich weil sie sonst die Last des Schnees nicht tragen könnten. 

Es roch nach feuchtem Laub und modrigem Holz und es war am Tannenschlagweg, da wo die Holzbank steht, in deren Lehne sehr professionell der Name „Schau-Schau“ geschnitzt ist. Anderswo heißen solche Bänke „Bellavista“ oder „Bellvue“ oder auch „Zur schönen Aussicht“, hier auf der Alb heißen sie „Schau-schau“ und geben so einen aktiven Hinweis, was auf ihr zu tun sei. Ich dachte kurz darüber nach, ob es in der Gegend auch „Trink-Trink“ oder „Knutsch-Knutsch“-Bänke geben mochte, als ein Windstoß die großen Fichten zum Rauschen brachte. Es fing links an, sie bogen sich ein wenig und es rauschte über unseren Köpfen nach rechts vorbei.

Wäre jetzt nicht Judith, sondern zum Beispiel Judithchen neben mir gegangen, dann hätte ich die Geschichte vom Weihnachtsmann erzählt, der immer am Vormittag des 24. Dezember pünktlich um 10 Uhr 47 mit seinem riesigen Schlitten vollbeladen mit glitzernden Geschenken und gezogen von acht Rentieren durch die Lüfte der Schwäbischen Alb entlang des Tannenschlagweges rauscht. Und weil die Menschen das früher ganz genau wussten, haben sie die Bank hier aufgestellt. „Schau-Schau – der Weihnachtsmann“ war früher dort hineingeritzt, und es standen so viele Bänke da, dass alle Kinder des kleinen Dorfs dort Platz hatten.

Aber irgendwann sind die Kinder groß geworden und haben vergessen, an den Weihnachtsmann zu glauben. Sie haben gegoogelt und festgestellt, dass der Weihnachtsmann nur eine „Es-war-einmal-Geschichte“ ist.  „Fake News“ haben sie gerufen und das Christkind gleich mit ins Reich der Verschwörungstheorien verbannt. Nur Querdenker trafen sich noch heimlich an der Bank, obwohl es verboten war. Irgendwann war auch das vorbei. „Zum Glück“, so hätte ich Judithchen erklärt, „kümmert den Weihnachtsmann nicht sonderlich, was wir hier unten auf der Erde gerade treiben. Er hat seinen immerwährenden Kalender und fliegt pünktlich 10 Uhr 47 Ecke Tannenschlagweg.“

„Komm mein Lieber, es ist ein bisschen besser, wir kehren um“, sagte Judith neben mir und hakte mich sanft unter den Arm. „Ich glaube nicht, dass der Weihnachtsmann schon alles erledigt hat. Wir müssen ihm noch helfen, die Geschenke zu verpacken.“ Ich schaute sie scharf an. Ist sie vielleicht eine Querdenkerin? Ich weiß es nicht. Es ist auch nicht so wichtig. Hauptsache, wir haben vor dem „Noikomme“ noch die Stiefel geputzt. So war das einmal.