endlich Eisenbahn

Jedes Jahr um diese Zeit denke ich an den grauen Schuhkarton, der irgendwo da unten im Keller ruht, und in dem die Reste meiner elektrischen Eisenbahn verpackt sind. Judith denkt an Kartoffelsalat, Karottensalat und Leberkäs. Oma denkt an den ererbten Weihnachtsengel, der schon etwas morbid ist, aber irgendwie auf die Baumspitze balanciert werden muss. Opa kommt nicht mit in die Kirche – der Hund wäre sonst allein. Und die ganzen Nachkommen, sie denken an Hund, Engel, Kirche, Leberkäs, nur die Eisenbahn haben sie ganz vergessen. Als mich gestern eine Freundin nach unserer Adresse fragte, weil sie eine Weihnachtskarte schicken wollte, schrieb ich zurück: „Im Übrigen wünsche ich mir was für die Eisenbahn.“ „Vergiss es“, kam zurück.

Ich halte das Thema für zu Unrecht ins Abseits gestellt. Ich glaube zum Beispiel, dass unser angespanntes Verhältnis zur Deutschen Bahn ein bisschen besser wäre, wenn Pendler und Geschäftsreisende anstatt auf ihr Smartphone zu starren, abendlich eine Runde Eisenbahn spielten. Wer einmal erlebt hat, wie schnell so ein Zug entgleist, wenn er zu flink durch die Kurve flitzt, bekommt ein ganz anderes Verhältnis zur Pünktlichkeit. Bei mir gab es nie einen Fahrplan, sondern stets ein herrliches Durcheinander. An Blätter auf den Schienen kann ich mich nicht entsinnen, dafür an jede Menge Staub. Dann wurde mit Spiritus gewischt, Schienenersatzverkehr kam mir nicht ins Haus. Die Verkehrswende – sie hat in Wahrheit bereits in den siebziger Jahren bei mir im Keller begonnen.

Dieses Jahr erregt noch etwas anderes unsere Aufmerksamkeit: Es geht um den Krippenbau. Nicht dass Judith und ich ein irgendwie heiliges Paar wären, aber die Ähnlichkeiten sind schon völlig verblüffend: Irgendwann um diese Zeit herum soll nochmal so ein kleiner Geselle in unsere Familie purzeln, und wir haben wie die Familie vor zwei Jahrtausenden keinen Platz in der Herberge. Ein befreundeter Zimmermann tüfftelt deswegen an maximal raumausnutzenden Konstruktionen, und ich muss jetzt dringend in den Keller, um die Wiege zu suchen, die da unten schlummert, seit ihre letzte Bewohnerin vor rund zehn Jahren hinausgeklettert ist. „Kann sein, dass das länger dauert“, rufe ich Judith auf dem Weg nach unten zu und freue mich auf die nächsten Stunden. Irgendwo muss da doch dieser graue Schuhkarton stehen.