Heiligmorgen

Judith an meiner Seite und das Baby schlafen noch. Die Hündin ist schon wach und möchte hinaus. Der heutige Abend ist der heilige, und ich möchte wissen, ob er schon auf den Morgen ausstrahlt. Eigentlich möchte ich mich selbst in diese heimelige Weihnachtsstimmung schaukeln, die als ferne Erinnerung aus den Kindertagen herüberreicht. Als die Aufregung wuchs und das Herz pochte, weil vielleicht eine elektrische Lokomotive unter dem Weihnachtsbaum liegen würde, die ich schon im Sommer im Katalog angekreuzt hatte. Mit dem Ausbleiben von Lokomotiven ist auch diese heimelige Stimmung davongedampft. Ich will sie wieder zurückhaben.

Was ich suche, ist vielleicht ein Reh, das als Rentier durchgeht. Oder das Läuten einer Glocke hinter den Bergen, was dann wie Schlittengebimmel klingt. Oder ein goldenes Blitzen der Sonne zwischen den Tannenspitzen. Ich gehe hinaus. Über dem kleinen Dorf liegt der Geruch der erloschenen Kaminfeuer des Abends, der sich mit dem süßlich-modrigen Duft des Waldes mischt, den der Regen seit Tagen tränkt. Die Abkürzung durchs dichte Unterholz ist mit Brombeergestrüpp zugewachsen, ich spüre die Dornen, wie sie durch die Bluejeans pieken.

Als ich zum Feld abbiege, fühlt sich die Erde an, wie ein nasser Schwamm und bei jedem Schritt rutsche ich ein paar Millimeter, als wären Schlittschuhe unter meinen Füßen. Die Hündin macht einen Bocksprung, weil sie eine Maus vermutet, aber sie irrt sich auch diesmal wieder. Eine kurze Böe wirbelt ein gelbes Blatt durch die Luft, das um die eigene Achse kreiselnd zu Boden sinkt. Ein wenig Nässe dringt durch die Nähte der alten ledernen Lieblingsschuhe, und als es leicht bergan geht, merke ich, dass noch so etwas wie ein Kater in mir steckt. Ich denke an Kaffee und schlage den Rückweg ein.

Das Baby seufzt im Gitterbettchen. Judith hat den Kopf zwischen den Kissen, die Lieder noch geschlossen. „Und? Hast Du das Christkind getroffen?“, murmelt sie. „Ja“, rufe ich. „Es war sogar noch ein bisschen besser: Rentiere, Weihnachtsmänner, und alle Knecht Ruprechte sind gleichzeitig unterwegs. Der Schnee stob zur Seite, als sie mit ihren Schlitten an mir vorbeibrausten. Und bei Euch schauen gleich Ochs und Esel herein.“ „Mann, bist Du in Stimmung“, sagt Judith. Sie zieht mich zu sich, und ich weiß noch, dass mein Herz pochte, als ich mich von neuem an ihre Seite legte.