ein Auge zugedrückt

Ich war früh aufgestanden, denn ein Tag voller Arbeit lag vor mir. Ich hatte die Ganz-Lütte mit Milch betankt und den Hund durch den Park gezogen, die Brötchen vom Bäcker-Nebenan geholt, mir eben zwei Stück davon, eins mit Camembert und eins mit Leberwurst geschmiert, der Leberwurstpellenschnipsel lag noch auf der Küchentheke, als Judith aufstand und für diese morgendliche Zeit sehr energisch feststellte: „Die Leberwurst war teuer.“ Ich beschloss auf der Stelle, sie zu heiraten.

Das hat natürlich in erster Linie praktische Gründe. Ein Mann sollte sich immer dann eine Frau suchen, wenn er anfängt teuer zu werden. Das männliche Leben aus Jagd und Krieg und Lagerfeuer muss finanziell abgefedert werden, dann er selbst kann es sich nicht in allen Situationen leisten. Da ist es dann gut, wenn sie für die Leberwurst sorgt, und praktisch mit dem Trauschein eine Leberwurstsorgfaltspflicht unterschreibt. Andererseits wird man im Alter vielleicht gepflegter, verfügt vielleicht auch intellektuell über eine interessante Bandbreite, und kann, wenn sonst gar nichts mehr geht, immer noch einen Schwank aus seinem Leben erzählen, aber ansehnlicher wird nicht jeder von uns. Und da ist es ein bisschen besser, sich in feste Hände zu begeben, die dann auch mal ein Auge zudrücken.

Das ist ein schönes, schiefes Bild: Hände, die ein Auge zudrücken. Ich denke dabei an diese Fingerpüppchen, die ich mir einst über Ring- Mittel- und Zeigefinger stülpte und ein Kasperltheater für Ganz-Lütte vollführte. Oberhalb des Fingergelenks wurde viel gelacht und geweint. Meine Theaterstücke waren stets ein großer Erfolg, nur das Publikum fiel manchmal durch. Geprobt habe ich nie, denn das Leben ist ein Theaterstück ohne Generalprobe. Und den Applaus musst Du Dir selbst organisieren.

Judith und ich werden auch ein schönes, schiefes Bild abgeben. Denn Menschen sind schönschief wie Bäume:  Der Sturm beugt sie, aber wenn die Wurzeln tief gründen, halten sie das aus. Da wo sie mal einen Ast verlieren, entsteht eine dicke Wulst. Und jede Knospe ergibt ein welkes Blatt. Außer bei Judith, da ist es umgekehrt.