Die Wahrheit über Hottentotten

Judith hätte jetzt sagen können: „Oliver, hier sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa.“ „Oder wie bei den Hottentotten.“ Sie hätte damit holzhammermäßig angedeutet, dass ich mich einmal bewegen und den Putzeimer nehmen könnte, um die Wohnung wieder in Schwung zu bringen. Ich hätte darauf geantwortet, dass die Hempels von Hartz IV lebten, seit Vater Hempel wegen des Strukturwandels im Bergbau ohne Arbeit und Mutter Hempel bei Karstadt keine Perspektive mehr habe. Der Sohn nehme Drogen, wir sollten lieber in Demut dem Kapitalismus abschwören, weil wir uns sonst mitschuldig an den Verhältnissen bei Hempels machten. Das Sofa sei außerdem von der Wohlfahrt und überhaupt: Wie es darunter aussehe, ginge keinen etwas an.

Und was die Hottentotten betreffe, so sei das ja übelste Kolonialvergangenheit, die ich an dieser Stelle in meiner Wohnung nicht zu dulden gewillt sei. Wenn sie mit Hottentotten die in Südafrika und Namibia lebende Völkerfamilie der Khoikhoi meine, dann solle sie das auch so sagen. Was das allerdings mit unserer Wohnung zu tun habe, wisse ich nicht. Schon gar nicht in diesem Jahr, in dem unser Bundespräsident endlich nach Afrika reisen will, um sich für den Völkermord an Herero und Nama zu entschuldigen, den unsere Vorfahren – jedenfalls die, die in Afrika waren – angerichtet haben. Und die anderen haben zugeschaut und Hurra geschrien und seien deswegen mitschuldig, was wir nun völlig zu Recht ausbaden müssten, in dem wir beispielsweise zehntausende von geraubten Kulturgütern aus Afrika, die in deutschen  Museen lagerten, zurückgeben.

„Mein Guter“, hätte Judith dann gesagt, „es ist ein bisschen besser, Du regst dich nicht so auf. Das ist nicht gesund.  Die einzige Sache, an der Du heute mitschuldig bist, ist, dass es hier aussieht wie im Saustall.“ Ich wäre dann aufgestanden und hätte beschwingt saubergemacht, froh darüber, dass meine Schuld doch relativ überschaubar ist.