abseits von Aldi

In unserer Familie bin ich der Föderalist. Das heißt, wenn alle zentral entscheiden, zur Marktbude am Stadtrand zu fahren und dort ein Kilo Spargel vom Niederrhein zu kaufen, gehe ich schon mal zum Griechen nebenan und hole Gyros. Föderalismus bedeutet, dass die Entscheidungen vor Ort getroffen werden und manchmal bin dieser Ort eben ich allein. Das macht aber nichts, weil es dann Spargel mit Gyros gibt.

Spargel plus Gyros plus ein Glas Rosé, den die Südfranzosen immer noch am besten hinbekommen – das ist fröhlicher europäischer Föderalismus serviert in einem Gang. Manche nennen diesen Föderalismus Flickwerk, was ein ziemlich hässlicher Name dafür ist, weil es nach Resteverwertung und nach Zusammengeschustertem klingt. Wer derzeit solche Auswüchse von Föderalismus beklagt, dem missfällt in der Regal, dass zur Corona-Bekämpfung unterschiedliche Antworten gegeben werden. Dass der Saarländer ungläubig mit dem Kopf schüttelt, wenn er erfährt, dass der Niedersachse keinen einzigen Tag zu Hause eingesperrt war. Dass der Münchner mit den Augen rollt, wenn er feststellt, dass der Schweriner schon wieder in seinem Stammcafé sitzt, während er nur traurig auf die roten Flatterbänder seines abgesperrten Biergartens starrt.

Der Bayer lässt sich dann umgehend mit seinem Ministerpräsidenten verbinden, der ihm versichert, alles dafür zu tun, damit zwischen Aschaffenburg und Tegernsee niemand das Gefühl hat, er sei hintendran. Sei es bei den Verschärfungs- oder bei den Lockerungsübungen, die CSU ist immer vorn dabei. Der Niedersachse springt nicht über jedes Stöckchen und ist froh, dass sein Ministerpräsident vom gleichen Schlag ist und so für die SPD Boden gut macht.  

Klar ist das unübersichtlich. Und klar haben wir alle statt föderaler Unordnung lieber klare Kante, klaren Kurs und Personal auf der Brücke, das weiß, wo es langgeht. Wir lieben Einheitlichkeit wie bei Aldi: vorne links Brot und Toast, gegenüber Marmelade, Gemüse hinten neben dem Gefrorenen und Toilettenpapier weiß ich auch nicht mehr wo. Abseits von Aldi kann es aber durchaus ein bisschen besser sein, dem Leben seinen Lauf zu lassen.

Auch die Familie ist so ein Beispiel dafür. „Familie fühlt sich warm an“, hat mir ein Kollege neulich aus dem home office zugerufen. Warm ist schön. Aber kennen Sie bei der Familienfeier diese Wärme vom Stuhl, auf den Sie sich setzen, wenn gerade einer aufgestanden ist? Er fühlt sich warm an, aber anders als die eigene Wärme, obwohl es wahrscheinlich jedes Mal irgendwas knapp unter 37 Grad sind. Offenbar gibt es selbst in den besten Familien diese verschiedenen Arten von Warm. Mein Warm ist nicht jedermanns Warm. Judith und ich stammen aus Familien, die Wärme verbreiten. Und wenn die Kälte in unsere Herzen zieht, brennt irgendwo in diesem Kreis eine Feuerstelle. Daneben gibt es auch föderalistisches Familien-Flickwerk, was sich Patchwork nennt. Judith und ich praktizieren das jetzt und seither weiß ich: Föderalismus fühlt sich sogar heiß an.