Warum ein gutes Fest in der Kirche beginnt und im Bett endet
Judith und ich und die ganze Familie, die so an die 30 Menschen umfasst, haben ein rauschendes Fest abgehalten. Sohnemann war der Konfirmand, und wir sollten dazu sagen, dass unsere Familien schon an der einen oder anderen Kante mal auseinandergeflogen sind, wir alles wieder geflickt haben, manches besser zusammenpasst als zuvor, Risse vernarbt und Sollbruchstellen eingenäht sind.
So ein Fest beginnt mit logistischen Meisterleistungen, die Napoleons Feldzug gen Osten als Spaziergang erscheinen lassen. Keller werden mit Wasser-, Wein- und Bierkästen gefüllt, Essensabfolgen ver- und entworfen, Ofenkapazitäten berechnet und Kühlschränke an ihre Belastungsgrenze gebracht. Gruppendynamiken werden eingeschätzt, Zu- und Abneigungen erörtert, Autofahrten organisiert, Klos zugewiesen. Die Kleiderfrage wird gelöst und am Ende umentschieden, die Nägel lackiert, Haare drapiert, Schuhe gewichst, Oma macht den Kuchen, Judith die Dips und ich bin ganz gut in der Oberaufsicht, was Judith für eine Ausrede hält, weswegen ich doch die schweren Sachen schleppen muss, was immerhin nach harter Arbeit aussieht.
Ein gutes Fest beginnt mit der Kirche und endet im Bett und dazwischen liegt das Wirtshaus. Die kleine Stadtkirche kann die Familien kaum fassen, die herausgeputzt im Sonntagsstaat die Freitreppe links und rechts hinaufströmen, die Glocken schallen, der Chor groovt sich ein, die Orgel dröhnt, der Pastor schmettert die Lieder, und ich schmettere mit, jedenfalls spätestens ab Strophe drei, wenn ich ein Gefühl für die Melodie bekommen haben. Manchmal ist mit meinem Gefühl was nicht in Ordnung, dann entstehen Disharmonien und Judith verdreht die Augen, aber im Allgemeinen klappt es ganz gut, ich finde sogar jetzt in meinen mittleren Jahren sitzt die Stimme besser. Der Konfirmand schaut ernst, das kleinste Töchterchen fragt, wo Gott nun wohnt, der Segen ruht über den Köpfen und am Ende gibt es sogar Beifall, weil wir im Rheinland sind, wo irgendwie immer auch Karneval ist.
Das Wirtshaus sind heute die eigenen vier Wände, die Sonne scheint, Reden werden geschwungen, angestoßen, aufgestoßen, Freundschaften erneuert, Verwandtschaften bedient, „der ist aber alt geworden“, „die ist aber jung geblieben“, „wie lange haben wir uns nicht gesehen?“ Die Politik bleibt heute draußen, daran haben wir uns schon mal die Münder verbrannt. Das Essen passt, der Wein ist kalt, der Konfirmandenanzug hat den ersten Fleck, wir loben den Herrn. Die Altvorderen fragen sich, als sie gehen, ob sie den nochmal wiedersehn. Als wir ins Bett fallen, sage ich: „Das war ein schönes Fest.“ Judith sagt: „Früher sind wir immer in den ´Hirschen´ gegangen.“ Ansonsten hat sich seit Napoleon nichts geändert, auch nicht in den Nächten danach.