Wachstumschancen- und Ohneschuhgesetz

Ich möchte an dieser Stelle nicht behaupten, dass es bei Judith und mir alttestamentarisch zugeht, aber ich finde Gebote wie: „Du sollst nicht begehren das Weib deines Nächsten, seinen Knecht, seine Magd und seinen Ochsen“ sehr klar und einleuchtend. Gesetze aus der jüngeren Gegenwart nach Moses wie etwa das „Wachstumschancengesetz“ oder das „Demokratieförderungsgesetz“ stellen Judith und mich jedoch vor Rätsel. Wir wissen nicht wirklich, ob wir uns gesetzestreu verhalten.

Während Judith der Meinung ist, dass wir uns hinlegen sollten, um zu sehen, ob das Wachstumschancengesetz sich entwickelt, glaube ich, es ist anders gedacht: Es gehe mehr um Wachstum im materiellen Sinne, mehr Wohlstand, vegane Schnitzel, schnelle Autos. „Ach so“, ruft Judith, „und zur Demokratieförderung machst Du jetzt endlich die Bude klar, kaufst ein, versorgst den Hund, saugst unterm Bett und kochst was?“

Man sieht, wir werden albern. Judith erfindet ein Haushaltsgleichberechtigungsgesetz, während ich ein Imbüroruftdiearbeitgesetz durchpauke. Zusammen geben wir das Machdenkühlschrankvollgesetz in die Anhörung und verlangen ein Anrecht auf vier Tage liegen bleiben, wenn es draußen regnet bei vollem Verpflegungsausgleich. Ich erkläre gewisse Abschnitte unserer Wohnung zum Naturschutzgebiet, in denen nichts verändert werden darf. Judith arbeitet an Umweltzonen, die nur ohne Schuhe betreten werden dürfen. Wir streiten um die Schuldenbremse und einigen uns, sie von 18 bis 1 Uhr außer Kraft zu setzen, um sie die andere Zeit über strikt einzuhalten. Die Ausgaben für Hundefutter ordne ich dem Verteidigungshaushalt zu, worauf die Hündin verlangt, dass sie mindestens zwei Prozent unseres Haushaltseinkommens betragen müssen. Den Kauf ihrer Hanteln rechnet Judith unter dem Posten Energiewende ab. Und ich kann sie gerade noch daran hindern, die Zeitenwende auszurufen und keinen Weißwein für heute Abend kaltzustellen.

Am Wochenende sind wir erschöpft ins Bett gesunken, und ich habe davon geträumt, ob es nicht ein bisschen besser sei, ein Gesetzesloser zu werden. „Lass uns wie die Outlaws leben“, flüstere ich Judith ins Ohr. „Nicht heute“, murmelt sie zurück und erinnert ans dritte Gebot: „Du sollst den Feiertag ehren.“ Das haben wir dann sehr schön befolgt.