Streik

Judith, das Töchterchen, die Hündin und ich streiken. Judith und ich fordern Vier-Tage-Woche bei vollem Schlafausgleich, außerdem einen 24-Stunden Bügelservice und täglich zwei warme Malzeiten sowie einmalig drei Wochen Thailand. Das Töchterchen will eine 24/7-Versorgung mit Schokolade, und die Hündin verlangt einen Dauerplatz auf dem Kissen des Designersofas, das die Morgensonne so schön auf dem Balkon bescheint. Um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen, beschließt jeder nach Kräften die Knotenpunkte der Familie lahmzulegen.

Bei der Hündin sieht das so aus, dass sie am Freitag mir nichts dir nichts einen Haufen ins Büro gesetzt hat. Nicht da, wo ich sitze, sondern bei den Kolleginnen im Nachbarzimmer. Ich habe nach entsprechenden Hinweisen, nach Beseitigung der Sauererei und nach Besänftigung der Kolleginnen – irgendetwas muss ich mir aber noch einfallen lassen – den Bürotag abgebrochen, die Hündin ist dann zu Hause aufs Designersofa geklettert. Nur die Morgensonne war schon weg.

Das Töchterchen hat auf dem Rückweg vom Kindergarten durchgängig nach „Schokolade, Schokolade, Schokolade“ gerufen, geschrien, gebrüllt, gejammert, gewinselt, gekreischt, gemeckert. In der Unterführung, die wir immer durchqueren, hat das sehr laut gehallt: „schlage, schlage, schlage“. Bevor das Jugendamt anrückte, habe ich noch vor Ende des Fußgängertunnels ein vorzeitiges Schokoladenosterei aus der Tasche gezogen und ihr in den Mund gestopft.

Judith und ich tragen nur noch bügelfreie T-Shirts, wir gehen zweimal die Woche Bratkartoffeln essen und aus einmalig Thailand ist dieses Wochenende ein Ausflug ins Vogelschutzgebiet Bislicher Insel geworden, wo viele ältere Herren mit Teleobjektiven Kormorane fotografieren, bevor die unter Wasser tauchen. Ich nehme an, auf manchen Bildern ist nur Wasser zu sehen. Es war sehr schön. Die Vier-Tage-Woche haben wir uns abgeschminkt.

Auf dem Rückweg vom Ausflug lutschte das Töchterchen an einem Schokoladenei, die Hündin hatte wie immer das ganze Heckabteil für sich. Judith hat mich angeschaut mit ihren grünen Augen. „Ein bisschen besser ist“, sagte sie, „dass, wenn Du streikst, Du alles gibst.“ „Sonst kommst du zu nichts“, ergänzte ich.