Monat der Bleichgesichter

Beim Franzosen an sich können wir nur vermuten, dass er während dieser Tage des Daheimbleibens zur Casserole greift und sich was schmort. Der Italiener als solcher repariert endlich mal die Bella Macchina und in der DDR haben sie in den dunklen Zeiten oft Kinder gemacht, was zeigt, wozu der Deutsche einerseits fähig ist. Andererseits gab es zum Beispiel Martin Heidegger, der die Welt im Blick hatte, bis er sich in seine Schwarzwaldhütte zurückzog und dort einiges verfasste, was 1933 freudestrahlend von den neuen Machthabern gebraucht werden konnte. Ein Schriftsteller, der noch erfolgreicher als Heidegger war, gründete gar seine Karriere während der Einsamkeit seines ersten Gefängnisaufenthalts. Wir reden von Karl May, der im Zuchthaus von Zwickau zum besonderen Schreiber des Anstaltsdirektors aufstieg.

Sperr den Deutschen weg und er beglückt die Welt also entweder mit Nachkommen oder Büchern. Ob Merkel sich den Lockdown vor diesem Hintergrund gut überlegt hat, fragen Judith und ich uns und denken darüber nach, ob wir jetzt was schreiben oder was anderes machen sollen.

Ein bisschen besser ist, es stünden einem eine Fülle von Alternativen zu Gebote. Judith hat beispielsweise heute damit begonnen, den Adventskalender vorzubereiten. Wir planen dieses Jahr mit acht Adventssonntagen, der Kalender hat nach unseren Berechnungen 54 Türchen und da von Milka bis Amorelie noch keine Marke den 54türigen Kalender als Marktlücke entdeckt und serienmäßig hergestellt hat, sind wir eben selbst in die Produktion eingestiegen. Auch Christbaumschmuck lässt sich bereits produzieren, wobei wir gegenüber den Kindern das Verbot ausgesprochen haben, Lokusrollen als Ausgangsformen zu verwenden. Als günstiger Monat für einen vorübergehenden Führerscheinentzug erweist sich der mobilitätsarme November ebenfalls. Und allen Gänsen, die jetzt frohlockten und wegen geschlossener Restaurants auf ein Leben nach dem Martinstag hofften, rufen wir zu: Freut Euch nicht zu früh. Der heimische Ofen ist schon vorgeheizt.

Ansonsten haben wir den Vorrat ungelesener Bücher gesichtet und festgestellt, dass sowohl Heidegger wie May im täglichen Leben von praktischem Nutzen sind. Als ich jedenfalls am Abend des ersten Lockdown-Tages Judith ganz im Sinne des Schwarzwald-Philosophen vorwarf: „Das Bedenkliche in unserer bedenklichen Zeit ist, dass wir noch nicht denken“, antwortete sie leichthin: „Du Bleichgesicht bist der größte Narr, der jemals über die Prärie geritten ist.“