Küche machen wir morgen.

Edward Bellamy ist ein heute eher in Vergessenheit geratener amerikanischer Schriftsteller, der einen großen Schnauzbart trug und in seinem Roman „Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887“ den Hauptakteur aus dem Vereist-Sein auferstehen und seine Zeit mit einer Entwicklung hundert Jahre weiter vergleichen ließ. Bellamy outete sich damit als ein Anhänger der Kryonik, der auch die deutsche Gesellschaft für Angewandte Biostase etwas abgewinnen kann. Biostase und Kryonik sind Methoden, die lebende Organismen wie etwa Judith und mich schockmäßig einfrieren und irgendwann, wenn alles besser ist, wieder auftauen wollen. Die deutschen Forscher legen dabei nach eigenen Angaben einen besonderen Schwerpunkt auf die Qualitätssicherung, was mir sehr sinnvoll erscheint, weil das Auftauen nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft wirklich ein Problem ist.

Gerade deswegen sind wir der Meinung, man sollte jetzt die Deutsche Gesellschaft für Angewandte Biostase auf höchster Regierungsebene einbeziehen, um das Wiederauftauen eingefrorener menschlicher Beziehungen, die Enteisung wirtschaftlicher Verflechtungen sowie die Ertüchtigung meiner unter Bewegungsarmut erstarrten Glieder zu diskutieren. Und ehrlich gesagt: Wenn unter die Corona der Experten wie Lothar Wieler vom Robert-Koch Institut oder dem bundesdeutschen Chef-Virologen Christian Drosten so einer wie der deutsche Biostase-Vorstand Christian Röder käme, wäre das doch ein Stimmungsaufheller. Röder trägt übrigens Ansätze zum Vollbart.

Judith und ich haben jüngst abends gute Erfahrungen mit dem Auftauen gemacht. Ich hatte vor zweieinhalb Jahren eine Entenkeule eingefroren. Das war zum Einzug in meine damalige Wohnung, und die Keule war ziemlich unnachhaltig vom Discounter. Ich wollte sie irgendwann die Woche essen. Daraus wurde nichts, sie geriet in Vergessenheit, und als ich vor einem Monat auszog, riefen mich meine Nachmieter an, ob ich die Entenkeule noch brauchen würde. Ich holte sie ab, weil ich auch noch im Keller die Schneeketten vergessen hatte, die wegen des Klimawandels wie neu sind. Judith und ich haben die Keule dann gleich wieder eingefroren und eben Donnerstag aufgetaut und mit Risotto gegessen. Sie schmeckte wie am ersten Tag.

Und das ist es, was wir sagen wollen: Wir glauben, wenn wir die eingefrorenen Verhältnisse von heute irgendwann wieder aufgetaut haben, schmecken sie genauso wie vorher. Diejenigen, die schon immer „höher, schneller, weiter“ gerufen haben, rufen auch dann wieder „höher, schneller, weiter“. Und an sich ist das auch nicht schlecht, denn hinter diesem Credo verbirgt sich der Fortschritt, und wir wollen ja alle nicht mehr mit dem Faustkeil die Tastatur bedienen. Wir wollen alle auch endlich einen Impfstoff haben. Es ist ein kleiner Irrweg im Kopf zu glauben, dass nach dieser Krise alles anders wird. Das zeigt schon der Blick in die Geschichte: Der dreißigjährige Krieg, die Erfindung des Buchdrucks und der Dampfmaschine sowie die Atombombe auf Hiroshima haben die Weltläufte verändert. Die große Pest von 1347, die übrigens in China ihren Ursprung hatte, und sich von da aus über die alte Seidenstraße bis Nordeuropa ausbreitete, hat es nicht.

Ein bisschen besser ist es, einfach jetzt schonmal mit dem anzufangen, was sich ändern soll. Zum Beispiel im Leben abends zu sagen: „Die Küche machen wir morgen.“ Am Abend lassen sich sinnvollere Dinge erledigen und morgen ist auch noch ein Tag, an dem wir Zeit haben. Und der erste, der morgens runter geht, macht es einfach schnell und hat damit gleich ein kleines Geschenk für den anderen. Wertschätzung nennt sich das. Edward Bellamy hätten wir diese Erkenntnis gewünscht. Er verstarb leider vorher mit 48 Jahren an einer Lungenkrankheit.