Ich schau Dir in die Augen, Kleines

Manchmal stellen wir sie nach, die berühmteste Szene der Filmgeschichte. Ich stehe Judith gegenüber, bin so im direkten Vergleich vielleicht fünf bis sieben Zentimeter größer als sie – zumindest, wenn sie keine High Heels trägt, aber das macht sie selten. Ich knurre dann: „Ich schau Dir in die Augen, Kleines.“ In dieser Sekunde ist sie ganz die Ingrid Bergman und ich bin der Humphrey, der Humphrey Bogart und draußen auf dem Rollfeld von Casablanca gießt es aus Eimern.

Die Szene war schon alt und schwarz-weiß, als wir klein waren und ist abgedreht, als Opa seine besten Jahre in einer schweren Zeit verbrachte. Aber es geht um ein markantes Thema: Augenhöhe. Wir ringen täglich darum.  

Viele große Männer sind kleine Wesen. Napoleons Körperlänge ist mit 1,68 Metern überliefert, und er kam dennoch bis Moskau. Tom Cruise misst nur 1,70 und hat trotzdem neulich in Paris zum Grand Finale der olympischen Spiele das Stadion mit einem sensationellen Stunt gerockt. Und Humphrey kommt auf 1,73 Meter, er dürfte in der Szene mit Ingrid auf einem Klapphöckerchen gestanden haben.

All diese Herren sind vermutlich Anhänger der Theorie, dass innere Größe und Geisteskraft äußerlichen Kleinwuchs mehr als ausgleichen. Das ist natürlich vollkommener Blödsinn. Forscher der Universität Iowa haben jetzt anhand datengetriebener Studien ultimativ festgestellt, dass es eine Korrelation zwischen Familieneinkommen und Statur des Mannes gibt. „Mehr Zentimeter, mehr Kohle“ lautet die kurze Formel. „Insofern“, sage ich zu Judith, „sind meine fünf bis sieben Zentimeter mehr doch ein bisschen besser für uns alle.“

Ich will jetzt hier nicht die gesamte Diskussion wiedergeben, die ich damit losgetreten habe. Judiths Kernthese jedenfalls lautet: „Pappelapp. Ohne Augenhöhe ist alles Essig.“ Und meine Strategie, um es ihr recht zu machen, mich kleiner zu machen, als ich nun mal bin, ist gründlich gegen die Wand gefahren. Ich bin deswegen zu der Meinung gelangt, dass mal der eine und mal der andere überlegen sein darf. Und nur, falls mir das auf Dauer zu bunt wird, habe ich ab jetzt immer einen Klapphocker dabei.