Hilfe, sie packt die Koffer

Als wir diese Woche freitags beim Frühstück saßen und schon vorher das Aufstehen neun Minuten, die Morgentoilette zwei Minuten, eine klemmende Hundefutterdose 30 Sekunden und ein fehlender Schuh vom Töchterchen noch einmal 30 Sekunden Verzögerung ergeben hatten, sagte mir meine Frau Judith völlig unerwartet, dass sie einen Koffer bestellt habe. Wir wollten am Wochenende verreisen, und da dachte sie, dass sei mal nötig. Außerdem war es ein Sonderangebot.

In mir ging der Vorhang auf zum Kopfkino. Ich bin mehr so der Weekender-Typ: Tasche über den Rücken geworfen, es darf gern knautschen. Ich bekomme regelmäßig einen Kleider-Katalog zugesandt, da sind solche Typen abgebildet. Sie sehen immer so aus, als hätten sie eben eine Whiskeybrennerei gekauft, würden gleich das Dach der Hütte für die Familie flicken, bevor der Anruf kommt, dass die Kommandobrücke auf dem Raumschiff zum Mars unbesetzt ist, weil die Jungspunte die Hosen voll haben. Ja, so ein Typ bin ich beinahe, denke ich und habe deswegen eine Frau an der Seite, ungezähmt, ungebügelt, dem Leben verfallen.

Das ist natürlich das Gegenteil von Rollköfferchen. Schon das Starre von Koffern entspricht nicht  meiner Lebenswirklichkeit, die rau oder anschmiegsam, aber jedenfalls flexibel ist und natürlich auch mal Stauchungen hinnimmt, um sich anschließend wieder zu alter Größe zu strecken. Rollkoffer-Ziehende höre ich meilenweit übers Straßenpflaster klappern, sie bevorzugen die minimale Anstrengung, tragen Seidentüchlein um den Hals und sind nicht geländegängig. Sie sind direkte Nachfahren jener Hacken-Trolleys, in denen ältere Damen ihre Butter und die Milch verstauten, bevor der Lieferservice durch unterbezahlte Boten erfunden wurde. Rollkoffer ist Soap; Tasche ist Western. Und überhaupt: Koffer werden vielleicht drei Wochen im Jahr gebraucht, den Rest stehen sie so nützlich herum, wie ein Straßenpoller auf der Kegelbahn.

Die morgendliche Verzögerung beträgt inzwischen 14einhalb Minuten, die Vorbereitung für die erste Konferenz ist im Eimer, doch Judith wehrt sich: Was mich das eigentlich anginge, wenn sie sich einen Koffer kaufe und überhaupt: Jetzt machte ich schon wieder auf coolen Cowboy, anstatt bitteschön den Frühstückstisch abzuräumen. Ich beschließe, es sei ein bisschen besser, tatsächlich jetzt das Haus zu verlassen, bevor der Riss zwischen uns zum klaffenden Spalt wird. Ich habe deswegen auch nicht mehr gehört, wie sie trotzig rief, dass sie in Wahrheit drei Koffer zum Preis von zweien bestellt habe. Es war aber auch egal, denn die Lieferung verzögerte sich, so dass das Kofferensemble nicht da war zum Reiseantritt. Ich habe Judith dann mein Rollköfferchen geliehen, das ich zufällig noch im Schrank hatte.