Endlich wieder Lagerfeuer

Der Abend senkt sich auf die Dächer der Vorstadt, die Kinder im Hof müssen heim. Die Krämersfrau fegt das Trottoir vor dem Laden, ihr Mann trägt die Obstkisten rein. Der Tag ist vorüber, die Menschen sind müde, doch viele gehen nicht gleich nach Haus. Denn drüben klingt aus einer offenen Türe Musik auf den Gehsteig hinaus. Und dann singt Peter Alexander, Gott hab ihn selig, von der kleinen Kneipe. Judith weiß, dass ich einen Hau für alte Schlager habe, aber ich habe ihr trotzdem nicht gebeichtet, dass mir neulich ganz heiß ums Herz wurde, als ich den seligen Alex im Stream so trällern hörte. Er hatte ein Lagerfeuer für mich entzündet.

Wer sich derzeit bei einem Negroni intellektuell unterhält, kommt am Narrativ vom Lagerfeuer nicht vorbei. Negroni ist ein Cocktail aus Gin, Campari und Wermut in gleichen Teilen auf Eis. Er macht völlig besoffen. Narrativ ist der zeitgemäße Ausdruck für Legende. Er klingt nur schlauer. Und mit Lagerfeuer sind sozioökonomisch gesehen herzerwärmende Augenblick der Gemeinschaftlichkeit gemeint, es wird mit ironischem Unterton ausgesprochen. Solche Augenblicke sind seltener geworden, was nicht nur Negroni-Trinker vermissen. Sie stellen deswegen die letzten Verbliebenen unter Artenschutz, die können machen, was sie wollen. Den gemeinsamen Fußballabend austragen, bei dem Leverkusen Meister wird, oder den „Tatort“ anschalten, der ausführlich vorher, nachher und während besprochen wird: „Bo ey, wat langweilig.“ – „Warum guckstn denn?“ Er sei ein „sinnstiftendes Element“. Die „moderne Messe“, sagt ein Filmwissenschaftler, den ich dazu gelesen habe. Lagerfeuer eben.

Judith und ich und die Freunde und das Töchterchen und die Hündin und die Nachbarn haben weniger als sinnstiftendes Element, sondern eher, weil ich so viel Müll und altes Ästewerk gesammelt hatte, jüngst auch ein Lagerfeuer in unserem Garten an der oberitalienischen Seenplatte entzündet. Es ging recht unromantisch mit einem halben Kanister Benzin und einem Wums an, die Funken stoben in den Himmel, die Klamotten rochen geräuchert, am Ende haben wir Kartoffeln in der Glut gegart, die herrlich rauchig schmeckten, wir haben warmes Bier getrunken und „we shall overcome“ gesungen. 

Der Abend hatte sich auf die Dächer der alten Steinhäuser gelegt, die Kinder hätten heim gemusst. „Na meine Krämersfrau“, habe ich verträumt zu Judith gesagt, „Magste noch fegen?“ Sie sah mich darauf befremdet an und beinahe wäre das Narrativ vom Lagerfeuer in Judiths Grollen verglüht. Es wäre eben doch ein bisschen besser gewesen, ihr von Peter Alexander zu beichten, dachte ich und ging mir einen Negroni mixen.