Eines trüben Tages Reise ins Licht

Es regnet einen Tag. Es regnet noch einen und noch einen. Und noch einen Tag. Bindfäden. In Strömen. Es pisst. Alle Drinnenspiele sind ausgespielt. Die Schuhe dampfen unter der Heizung, die Socken qualmen obendrauf und es müffelt nach nasser Wolle. Die Hündin verkneift sich alles, bis nichts mehr geht. In dem alten Gemäuer, in dem wir wohnen, kriecht es feucht die Mauern hoch und der Kamin verschlingt Holz wie meine Frau Judith ansonsten nur Spaghetti Carbonara.

„Was machen wir heute?“, frage ich beim Frühstücksei. „Wir gehen in die Berge“, verkündet Judith. „Berge gehen, Berge gehen“, wiederholt das Töchterchen. Die Hündin schaut vom Fressnapf auf. „Lasst uns durch die Wolken stoßen“, rufe ich und wir packen ein, was es braucht: Wasser, Windeln, Wein. Ich nestle die langen Schnürsenkel durch die klobigen schwarzen Wanderschuhe und spüre Vorfreude. Die alte Karre fährt uns hoch vom See ins Gebirge, aus den Straßen werden Wege. Wo sie zu Pfaden werden, steigen wir aus. Es riecht nach Holzfeuer vom letzten Dorf unter uns. Der Regen ist hier oben ein feuchter Nebel, wenn wir auf Grasnarben treten, quillt schmatzend das Wasser heraus wie aus einem Schwamm. Das Töchterchen singt „Laterne“ und strampelt auf der Schulter, ich keuche, Judith schnupft. 

Wir rasten an einer Kapelle, wo ein Seil unten aus dem Turm hängt. Ich ziehe daran und eine helle Glocke ertönt. Der Nebel gefriert, aus dem Buchenwald, wird ein Birkenwäldchen, dann verschwindet es ganz, wir stapfen durch Schnee, der hinten kalt in die Stiefel rutscht. Hinter der nächsten Kurve pfeift ein eisiger Wind, die Kleine legt ihre rotgefrorene Hand in meinen heißen Nacken. Der Rücken ist nassgeschwitzt, das Haar gefriert. Endlich oben. Die graue Steinhütte duckt sich an einen Felsen. Die Wirtin hat aufgeschlossen. Es gibt Käse, Salami, knuspriges Weißbrot, trockenen Rotwein. Der Feuerofen bullert. In dem gedungenen Raum sitzen eine Handvoll Wanderer. Die Gesichter gerötet erzählen sie vom Aufstieg. An der Wand aus groben Steinen hängen Schneeschuhe und schwarz-weiße Bilder aus dem Krieg, als hier oben eine Grenze war. Wir bleiben eine Stunde und noch eine. Wir zahlen, wickeln uns wieder in die dicken, feuchten Klamotten. Die Hündin rast hinaus, dann geht Judith, ich stupse das Töchterchen durch den Windfang vorbei an der schweren Tür und stolpere hinterher. 

Wir kneifen die Augen zusammen. Der Himmel ist aufgerissen, die Sonne strahlt durch die letzten Wolken, der Schnee blendet, unsere Herzen pochen. Das Leben ist ein einziger Purzelbaum, denkt die Hündin. Das Leben ist total rutschig, denkt das Töchterchen, das auf seiner Matschhose eine Minipiste runtersaust. Das Leben ändert sich hinter jeder Kurve, denkt Judith. Manchmal ist es ein bisschen besser, du keuchst vor dich hin, bimmelst mit der Glocke, kippst dir den Schnee in die Schuhe und gießt dir zwei Stunden im Wirtshaus einen hinter die Binde, denke ich. Das Leben kann doch so einfach sein.