das Ende der Verbindlichkeit

An diesem regnerischen Nachmittag haben wir über Schokoladenbrunnen gesprochen. Ich habe gleich nachgeschaut, es gibt sie mit drei bis sechs Ebenen, manche fassen bis zu acht Kilo Schokolade, und ich finde darin eingetauchte Ananas köstlich. In einer Frauenzeitschrift steht, dass das Fruchtfleisch der Ananas wie Peeling auf der Haut wirke, sie jünger erscheinen lasse und das sogar ohne rubbeln. Ich würde sie – rubbeln hin oder her – dennoch lieber essen. Ich habe dann Judiths Tochter doch nicht versprochen, einen Schokoladenbrunnen zu kaufen.

Denn ich weiß, sie hätte mich morgen daran erinnert. Und dann vielleicht nächste Woche wieder. Und wenn Anfang April keiner dagewesen wäre, hätte sie mich als den Mann-der-doch-keinen-Schokoladenbrunnen-gekauft-hat abgespeichert. Möglicherweise den Rest ihres Lebens. Das Risiko war mir zu hoch.

Es gibt so ein Alter, vor dem sich Judith und ich bisher erfolgreich gedrückt haben, das die Erkenntnis mit sich bringt, dass früher das eine oder andere ein bisschen besser war. Zum Beispiel, sagt Judith, war früher eine Verabredung eine Verabredung, die nicht kurz vorher abgesagt wurde. Und wenn doch, dann war es aus. 

Heute herrscht das große Vielleicht. Sehen wir uns morgen? Lass nochmal telefonieren. Kaufst Du mir einen Schokoladenbrunnen? Mal sehen. Corona hat die Sache noch schlimmer gemacht. Corona ist die ideale Ausrede für alle, die sich nicht festlegen wollen. Wohin fahren wir in die Ferien? Ist doch Corona. Wollen wir heiraten? Ist doch Corona. Verbindlichkeiten gibt es nur im Plural und dann als Daueraufträge auf dem Onlinekonto.

Ja, Judith und ich sind uns sicher: Wir vermissen das. Wir sehnen uns nach Handschlagqualität. Ein Mann ein Wort, eine Frau ein Wörterbuch haben wir früher gesagt und herzlich gelacht. Heute ist so was a) falsch und b) peinlich. Bei diesem Gedanken nicken wir beide, während der Regen an die Fensterscheiben prasselt, und das Gespräch versickert wie eine Träne im Hemdkragen. 

Möglicherweise, denke ich abends vor dem Einschlafen, sollte ich mir doch das Fruchtfleisch ins Gesicht rubbeln. Wenn die Haut davon jünger wird, kommen mit ihr vielleicht auch die alten Zeiten zurück. Judith tätschelt meine Wange, schiebt mir ein Stück Schokolade in den Mund. „Verbindlichen Dank“, sage ich.