Alter, was geht?

Wenn uns mein Jüngster begrüßt, klingt das neuerdings so: „Hey, was geht?“ sagt er. Nicht „Hallo“ oder „Gut‘n Tach“, sondern eben „Hey, was geht?“ Manchmal auch: „Alter, was geht?“ Da gibt es dann Ärger, aber er meint es nicht so. Donald Trump sagt gern am Anfang „Friends“ oder „My dear Americans“, Merkel nutzt in der Regel das etwas gestelzte „Liebe Mitbürgerinnen und liebe Mitbürger“, wobei wir uns noch nie so recht als Mitbürger gefühlt habe. Es klingt wie Mitfahrer, oder Mitesser oder Mitesserinnen. Bürger wäre uns lieber, aber Ärger machen wir deswegen auch keinen.

Als Bürger und gern auch Bürgerin haben wir übrigens den Teil der Demonstranten von Berlin, die einer schwarz-weiß-roten Fahne hinterhergelaufen sind, nicht als Mitbürger betrachtet, da sie offenbar einem anderen Land angehören. Ein Lieblingsausdruck von Judith ist „im Großen und Ganzen“. Sie suggeriert damit, dass im Kleinen und Halben einiges nicht so ganz in Ordnung ist. Im Großen und Ganzen also haben wir die Demonstranten respektiert.  Bürger und Bürgerinnen haben ihr Bürger- und Bürgerinnenrecht wahrgenommen, und es kamen mehr auf der Straße zusammen als bei jeder „Tag-der-Arbeit“-Demo, an die ich mich erinnern kann. Judith, die schwäbischen Ursprungs ist, denkt bei „Bürger“ auch stets an den Marktführer in der Herstellung schwäbischer Maultaschen, der aus der Buchse fahren würde, wenn er erführe, dass wir ihm seine Marktführerschaft aus unserer heimischen Küche heraus gerade streitig machen.

Neben der Demonstration in Berlin gab es am Wochenende eine zweite noch etwas Größere, die Luftlinie – ich habe nachgeschaut – genau 953 Kilometer entfernt im Herzen Europas stattfand. Dort in Minsk wurden rot-weiße Flaggen geschwenkt und das Masken- und Mindestabstandsgebot wurde geradezu mit Füßen getreten. Hat hierzulande aber keinen interessiert, weil es in Minsk ja nicht nur um Freiheit unter Corona, sondern um Freiheit ohne Lukaschenko geht. Judith und ich kennen leider nicht viele Weißrussen, wir nehmen aber an, dass es strukturierte Menschen sind. Erst wird Lukaschenko wegdemonstriert, ohne Maske.  Und dann kommt Corona dran, mit Maske. Wir beide sind uns einig, dass wir diese Reihenfolge ein bisschen besser finden.

Jetzt hat uns allerdings Merkel mit ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern vom Thema abgebracht. Es ging um Anreden und damit auch ums Sichverabschieden. „Gute Nacht“ hat etwas zärtliches, „Tschüss“ ist wirklich kurz und nach „Mach’s gut“ kann nichts mehr kommen. Halten wir‘s mit Panter Paulchen: „Heute ist nicht alle Tage, wir kommen wieder keine Frage.“ Komisch, das hätten auch die Demonstranten sagen können.