Wie ihr bei der Europawahl wählen solltet

Also – wir machen hier niemandem eine Vorschrift, wo er sein Kreuz machen soll. Aber ein paar Anhaltspunkte erhaltet ihr schon.

Judith und ich beugen uns über diesen Zettel von der Länge einer zu einem Drittel abgewickelten Küchenrolle. Wir machen Wahltag und haben ein Picolöchen geöffnet. Meine Frau Judith hat sich was Hübsches angezogen, und ich halte den Stift gezückt. Wir wählen per Brief das Parlament in Brüssel. Europa hab acht – wir kommen!

Die Uschi von der Leyen wolle sie nicht, sagt Judith. „Ich auch nicht“, sage ich, aber füge hinzu, dass die rein technisch gar nicht wählbar sei. Sie werde ja bestimmt, so wie alle ihre Minister auch. „Vom Parlament, das ich gerade wähle?“, fragt Judith. „Nein“, sage ich, „von den Chefs der Länder.“ Und zwar meistens von Deutschland und Frankreich bei einem Kegelabend. Judith zupft sich einen Fussel vom Kleid.

Wir gehen die Liste durch. Oben steht die CDU. „Dann bleibt alles, wie es ist“, sagt Judith. Ich denke an das Verbrenneraus und daran, dass ich den Geruch von Öl, und Benzin, vergessener Bananenschale, Lederpolster, offener Chipstüte und vergossener Sonnenmilch in unserer Familienkarre so mag und hake die CDU ab. Zur SPD haben wir uns beide nie hingezogen gefühlt. Es ist dieses angeklebt sein im Unten, was uns abstößt. Wer den Stallgeruch abschüttelt, wird bei der SPD abgeschüttelt. „Wir sind doch freie Menschen“, sage ich zu Judith und schreite schwungvoll zu den Freiheitlichen, den Liberalen, wo ich stets mein Kreuzchen mache. Doch jetzt das: Die Spitzenkandidatin, die da auf dem Zettel steht, sah ich neulich mit einem T-Shirt herumlaufen, es war der Ukraine gewidmet: „Gemeinsam bis zum Sieg“, stand darauf. Es hat in mir die tiefe Abneigung gegen Politiker geweckt, die ihre Gesinnung schon auf der Kleidung zur Schau tragen. In der deutschen und nordkoreanischen Geschichte gibt es zu viele davon.

Judith verharrt bei den Grünen. Ich weiß, den Robert Habeck, den Wuschelkopf, den mag sie. „Er will das richtige“, haucht sie. „Aber er macht das Falsche“, entgegne ich. Außerdem stehe er hier gar nicht auf dem Zettel. Zweifelnd sieht sie mich an mit ihren grünen Augen. „Warum steht hier AfD?“, fragt sie. „Die ist doch gegen Europa. Die findet sogar China und Russland besser.“ – „Weißt Du, dass so ein Europa-Abgeordneter gut und gern seine 20 000 verdient und das deutsche Finanzamt ihm gar nichts zu sagen hat?“, erwidere ich. Deswegen habe sich der eine oder andere AfDler nach langem Bitten zur Kandidatur bereitgefunden. Es muss schmerzlich für sie sein, sich ständig selbst zu verleugnen.

Wir gehen die Endlos-Liste weiter durch. Volt steht da – grundsympathisch, aber stimmt immer mit den Grünen. Die Tierschutzpartei halten wir beide für einseitig fokussiert und schlagen sie der Hündin vor, die sich inzwischen für unser Tun interessiert. Sie ist aber im Herzen eine Linke, weil sie zum Beispiel das Eigentum von Salami auf meinem Teller nicht anerkennt.  „Bündnis Sahra Wagenknecht“, rufe ich und setze zum Kreuz an. „Deine Sahra, mein Robert“, bemerkt Judith. Es ist einer ihrer kürzeren Sätze, die leider immer ihre zielsichersten sind.

Am Ende machen wir beide unser Kreuz, weil wir nämlich keine Enthalter-Typen sind. Dann schlägt Judith vor, dass es ein bisschen besser sei, wenn wir jetzt endlich die alte Karre packen, die mit dem Bananensonnenölgeruch. Wir werfen die Kinder auf die Rückbank und die Hündin in den riesigen Kofferraum, prüfen den Ölstab, tanken einmal Diesel voll und brausen durch Europa, das wir so lieben.