Was Männer denken, dass Frauen denken, wenn sie nicht da sind

Wir sitzen am langen Holztisch im Kaminzimmer des in die Jahre gekommenen Hotels im Harz. Neun Freunde. Meine Frau Judith macht Damenwochenende zu Hause. Ich treffe die, die ich hier immer treffe, einmal im Jahr seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Glücklich schauen wir uns in die Augen. Wir sind alle noch im Spiel, das Haar vielleicht lichter, auf jeden Fall grauer. Der eine hört schwerer, der anderer wird morgen den leichteren Weg nach oben nehmen. Der dritte stärker unter den Folgen dieses Abends leiden als in den früheren Jahren. Aber wir sind noch im Spiel und genießen die Gewissheit, dass alles wie immer ist, wenn wir uns sehen. Kein Eis ist zwischen uns, das nicht gebrochen wäre nach einem Glas dieses picksüßen Kräuterlikörs, auf den sie in dieser Gegend so stolz sind. Es werden viele Gläser an diesem Abend.

Wir reden über Klimawandel, die innere Mongolei, Zahnarzthelferinnen, Harztourismus, das Altwerden, das Jungbleiben, Schiffshebewerke und Lieblingscomics. Am Tisch sitzen honorige Doktoren und gestandene Ingenieure und einer spielt mit dem Gedanken, was gewesen wäre, wenn er sich nicht von seiner mongolischen Zahnarzthelferin abgewendet hätte. Ich denke, dass Judith ausschließlich über Männer, Beziehungen, alte Lieben, neue Liebe und vielleicht Kinder reden und dabei unsere Flasche Champagner für besondere Gelegenheiten einfach so wegschlubbern wird. Männer glauben das immer über abwesende Frauen. Ich habe neulich einen Bericht gelesen, der entstanden ist, indem jemand ein Mikro bei einem Mädelstreffen ausgelegt hat und alles wahllos aufnahm und abschrieb. Es ging bereits nach fünf Minuten beim Zwiebelschälen um Straßenköter-Sex. Also um das Herummachen mit wilden Typen mit zu wildem Leben, mit dem man nicht zusammenleben kann. Eine sagte dann, sie komme in ein Alter, in dem es nicht mehr ganz so viele Straßenköter-Abzweigungen gebe.

Woody Allen hat festgestellt, du weißt, dass du alt bist, wenn du dir kein neues Meißner Porzellan mehr anschaffst. Viele in unsere Harzer Herrenrunde kaufen sich keines mehr. Es sitzen möglicherweise ein bis zwei Straßenköter unter uns, die demnächst ins Pensionsalter kommen. Ich denke an unsere Hündin, die wir als Straßenköter aufgelesen haben und die nun die treueste Seele in unsere Familie ist. Es lohnt sich Straßenköter zu domestizieren. Ich weiß, dass Judith das weiß.

Wir sagen: „Auf Wiedersehen“. Die Harzer Runde löst sich auf, als es noch schön ist. Wir reden darüber, die Treffen häufiger zu machen, und wissen, dass es das nicht geben wird. Jeder geht seinen Weg und nächstes Jahr wird er uns wieder hierherführen. Meiner führt mich heute heim zu Judith. „Schatz“ werde ich bei meiner Ankunft rufen, „wäre es nicht ein bisschen besser, wir kauften uns ein neues Meissner Porzellan?“