Achtung Verfrühung!

Als wir neulich noch schlaftrunken aus dem Bett kippten, ich mal wieder feststellte, dass ich die linke Socke leichter überstreifen kann als die rechte, für die die Arme irgendwie zu kurz geworden sind, hatte so eine eklig morgenmuntere Moderatorin im Radio sich des Themas Verfrühung angenommen. Das ist in diesem Frühjahr sehr on vogue, weil es den Zustand beschreibt, dass bereits Knospen an den Bäumen zu sehen sind, obwohl der Frühling im Kalender noch gar nicht angefangen hat. 

Judith und mir gefallen Menschen und Dinge, die nicht so ticken, wie sie sollen, an sich ganz gut. Das Tor zu unserem Palazzo im nördlichen Italien lässt sich zum Beispiel mit einem riesigen Schloss gegen fremde Horden verschließen, entriegeln lässt es sich dann aber nur mit einem bärtigen Schlüssel und einem gezielten kräftigen Tritt mit der Fußspanne gegen die linke untere Ecke des rechten Türflügels. Wenn also der Frühling ein paar Tage früher kommt, sagen wir Sätze wie „Schön, dass Du schon da bist, lieber Frühling“. Auf jeden Fall knallen wir ihm nicht wegen Verfrühung den rechten Türflügel vor der Nase zu. 

Die Moderatorin dagegen schilderte die drastischen Folgen der Verfrühung in grellen Farben: Weil die Forsythien gelb ausschlagen, tirilieren die Amseln schon, was in Wahrheit jedoch ein Hungerlied ist, denn der Regenwurm hat sich, nachdem er auf den Kalender geschaut hat, nochmal umgedreht und hält Winterschlaf, anstatt sich verfrüht fressen zu lassen. So kommt die ganze Natur – bis auf die Deutsche Bahn – wegen Verfrühung durcheinander. Der Klimawandel schlägt unbarmherzig zu, Umweltverbände warnen vor verfrühtem Spargel, die Laune der Moderatorin sinkt fast auf ein Normalmaß, und wir fragen uns, ob sie, um die Sache wieder zu richten, jetzt „jingle bells“ auflegen wird.

Ein bisschen besser macht es da das Töchterchen, das sich regelmäßig mindestens zwei Gute-Nacht-Lieder wünschen darf.  An diesem Abend war es erst „Im Frühtau zu Berge“, was ich ihr begeisternd ins Ohr schmetterte, der zweite Wunsch war dann „Oh Tannenbaum“.  „Sie tickt, wie sie tickt“, flüsterte ich zu Judith, als wir unser Mädchen noch betrachteten, wie es friedlich schlafend dalag. „Ja“, fügte Judith hinzu, „sie ist in jeder Beziehung eine Laune der Natur.“